Inseltraum Amrum
Sand, Muscheln und verschiedenste Vogelarten so weit das Auge reicht. Gezeiten, die sich nach dem Zyklus des Mondes richten. Und mittendrin eine kuschelige Jugendherberge, die seit Generationen von einer einheimischen Familie geleitet wird. Wir haben den Inseltraum Amrum entdeckt.
Schon auf der Fährüberfahrt nach Amrum können wir auf dem Oberdeck des Schiffes die frische, salzige Meeresluft genießen. Unmittelbar nach unserer Ankunft auf der Nordseeinsel gelangen wir zur Jugendherberge Wittdün, einem Haus mit Meerblick, das nur einige Minuten vom Fähranleger entfernt ist.
Auf zur Insel
Eines der Highlights, die ich schnell entdecke, ist die erhöhte Terrasse, von der aus wir einen weiten Blick über den Kniepsand, den berühmten Sandstrand Amrums, gewinnen. In diesen Stunden ist Ebbe. Daher erstreckt sich einige Meter tiefer eine breite, golden schimmernde Fläche Watt vor uns und bietet zusammen mit der untergehenden Sonne ein idyllisches Bild.
„Man hat nie das Gefühl, dass die Insel voll oder überlaufen ist, selbst zur Hauptsaison im Hochsommer“, berichtet Herbergsleiter Herr Jürgensen, „die Menschen verteilen sich auf der weitläufgen Fläche einfach gut.“ Immerhin ist der Kniepsand, der sich von der Südseite der Insel ganz bis in den Norden hochzieht, etwa anderthalb Kilometer breit. Fast ein Drittel des Ortes Wittdün besteht aus Strand.
Wattenmeer im Mondschein
Mit Gummistiefeln an den Füßen brechen wir zu einer Wattwanderung auf. An diesem frühlingshaften Abend ist, während wir über den nassen Sand stapfen, die Mondscheibe am Himmel besonders gut zu erkennen. Das Meer hat sich weit zurückgezogen und tatsächlich ist Vollmond, was die Gezeiten Ebbe und Flut besonders stark beeinflusst.
In der Ferne erkennen wir Sandbänke, an denen sich kein Wasser ansammelt und die sichtbar aus der Schlickfäche herausragen. Durchs Fernglas beobachten wir, wie sich viele Silbermöwen, Austernfischer und andere Vogelarten dort aufhalten. Herr Jürgensen erklärt, dass wir nicht nur auf bloßem Sand stehen, sondern auf unzähligen kleinen Wattschnecken, die erst bei genauerem Hinsehen erkennbar sind. Ich erfahre, dass sie der Grund dafür sind, weshalb sich hier so viele Vögel tummeln: „Tausende von ihnen fressen sich hier satt und fiegen dann weiter“, erklärt Herr Jürgensen. Wir machen also vorsorglich einen kleinen Bogen, um die Rastplätze der Vögel nicht zu stören.
Herr Jürgensen beugt sich hinab, um einige Muscheln aus dem nassen Sand aufzuheben, und geht mit uns die Arten durch. Dabei entdecken wir kleine Rinnsale, die sich durch den Sand ziehen. Massen von länglichen Schwertmuscheln haben sich nach dem Wasserfluss ausgerichtet. Der Sandboden ist an dieser Stelle ganz von ihnen bedeckt.
Hier kommt er zu seinem großen Auftritt. Wir haben schon viel von ihm gehört und vor allem seine häufchenartigen Hinterlassenschaften gesehen: der Wattwurm. Heute bekommen wir ihn endlich einmal zu Gesicht. Herr Jürgensen buddelt mit seinen Händen einen aus dem Watt. Mit etwas Abstand schauen wir uns das Tierchen an. Eigentlich ist er ziemlich groß. Jedenfalls wesentlich größer, als wir vermutet hätten. Gefährlich wird er uns natürlich nicht, aber wir sind doch irgendwie froh, dass er sich sonst lieber im Sand vergräbt.
Jugendherberge mit familiärer Atmosphäre
Am Abend sinken wir nach einem erfüllten Tag in die Betten der praktisch eingerichteten Zimmer der Jugendherberge. Herr Jürgensen erzählt uns, dass die Jugendherberge in den Dreißigerjahren entstanden ist, als seine Großeltern von Sylt nach Amrum kamen. Nachdem eine Generation später auch der Vater von Herrn Jürgensen als Jugendherbergsleiter folgte, entschied er sich als Erwachsener dafür, die Tradition weiterzuführen. Dazwischen lagen jedoch sechzehn Jahre Abwesenheit von der Insel. Erst als er mit seiner Frau auf die Insel zurückkehrte, um dort eine eigene Familie zu gründen, trat er das Erbe an.
„Für Familien und Schulklassen ist Amrum eine sehr passende Umgebung“, das kann der Jugendherbergsleiter aus eigener Erfahrung sagen. „Es gibt wenig Autos, die eine Gefährdung für Kinder darstellen könnten, weite Flächen zum Toben und nicht zuletzt das Meer. Deshalb ist die Insel auch ein beliebtes Ziel für Klassenfahrten.“ Die Jugendherberge hat viele Stammgäste, vorwiegend Familien mit Kindern, bei denen die Eltern oftmals selbst in der Kindheit schon auf Amrum waren und die mit der Nordseeinsel eigene Kindheitserinnerungen verbinden.
Die Insel selbst ist sehr kompakt, besonders in Wittdün. Von der Terrasse aus kann man direkt an die Küste und zum Wattenmeer gehen. Alles ist fußläufg erreichbar, auch der Dorfkern. Im Sommer ist Amrum beliebt zum Baden im Meer oder für Wassersport. Die Fahrradfahrwege sind besser ausgebaut als in so mancher Großstadt und mit jedem Spaziergang wird uns klarer, wie sehr Amrum durch seine einzigartige Naturlandschaft geprägt ist. Deshalb zieht diese wunderschöne Insel auch nicht alle Zielgruppen gleichermaßen an. Die nordische Landschaft mit dem rauen Wind fernab des pulsierenden Großstadtdschungels sollte man schon mögen, wenn man hierher fährt.
Inseltraum mit weißen Dünen
Am nächsten Morgen wartet ein kleines Frühstücksbüfett auf uns, das wir uns zusammen mit den anderen Gästen schmecken lassen. Mit Marmeladenbrötchen und Kaffee gestärkt, steht auch schon die nächste Tour durch Amrums Natur auf dem Programm: der Weg durch die Dünen zum Leuchtturm im Ort Nebel.
Auf der Tour entdecken wir, dass die Landschaft, die hinter Kniephaken und dem Meer liegt, hauptsächlich von feinem, weißem Sand geprägt ist. Nicht umsonst heißt dieser Ort sehr treffend „Wittdün“, was so viel heißt wie „Weiße Düne“. Herr Jürgensen berichtet uns, dass sich die sandige Landschaft dank des Einflusses des Meeres und des Windes mit der Zeit immer wieder verändert. Während wir die Dünen hinauf- und hinabsteigen und uns dabei die salzige Brise der Nordsee um die Nase pfeift, weht auch der Dünensand in alle Richtungen.
Wie im Bilderbuch
Am Ende unseres Ausfluges erkunden wir das Zentrum der Insel, zu dem eine Windmühle, eine Kirche und einige Cafés in reetgedeckten Bauernhäusern gehören. Die Gebäude wirken wie aus einem Bilderbuch entsprungen, klein, mit niedrigen Decken und fernab jeglichen kommerziellen, großstädtischen Prunks. Beim Abschied von Herrn Jürgensen und der Insel sind wir wahnsinnig froh, Amrum kennengelernt zu haben. Diese Ruhe und Losgelöstheit vom Rest der lauten, chaotischen Welt sind woanders nur schwer zu finden. Ein Inseltraum!
Du musst angemeldet sein, um Kommentare sehen und verfassen zu können