Gedenkstättenbesuche: Das solltet ihr beachten!
Friederike Krebs ist freiberufliche Gedenkstättenpädagogin und begleitet unter anderem Schulklassen beim Besuch von Gedenkstätten. Wir haben sie in Ravensbrück kennengelernt, dort hat sie eine neunte Klasse aus Greifswald beim Besuch des ehemaligen Frauenkonzentrationslages begleitet. In diesem Interview erfahren wir etwas über Gedenkstättenpädagogik im Allgemeinen und was ihr als Lehrkräfte beim Besuch beachten solltet.
Was ist eigentlich Gedenkstättenpädagogik?
Die Gedenkstättenpädagogik ist ein spezifischer Bereich der Pädagogik, der in Gedenkstätten stattfindet. Gedenkstätten sind historische Orte, an denen Verbrechen geschehen sind. Hierbei denkt man in erster Linie an NS-Gedenkstätten, doch es gibt auch Gedenkstätten, die an die Geschichte der DDR erinnern. Generell sind Gedenkstätten Institutionen, die sich vor allem auf die neuere Geschichte beziehen. Die Arbeit der Gedenkstättenpädagogik wird von Historiker*innen oder Pädagog*innen durchgeführt, die Besucher*innen oder Schulklassen beim Gedenkstättenbesuch begleiten. Sie helfen den Besucher*innen dabei, sich mit der oft schwierigen und traumatisierenden Geschichte dieser Orte auseinandersetzen. Hierfür werden allgemeine pädagogische Methoden eingesetzt, aber auch Methoden, die speziell für den Ort entwickelt wurden.
Warum hast du dich dafür entschieden, in diesem Bereich zu arbeiten? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Seit über 20 Jahren bin ich in der Gedenkstättenpädagogik tätig. Mein Interesse an der NS-Geschichte begann bereits in meiner frühen Jugend, als ich mich intensiv damit auseinandersetzte. Ich war schockiert und betroffen. Zudem lebte ich in einer Stadt, in der es große Probleme mit Neonazis gab, wodurch ich mich früh antifaschistisch positionierte und engagierte. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich kurz vor meinem Abitur, als ich an einer Fahrt in eine Gedenkstätte teilnahm. Wir besuchten Theresienstadt, ein großes Ghetto und Gefängnis, das während des Zweiten Weltkriegs errichtet wurde. Dort arbeitete ein österreichischer Freiwilliger, der uns als Gruppe betreute und beeindruckende Führungen durch den Ort gab. Diese Erfahrung begeisterte mich sehr. Ich entschied mich, auch einen solchen Freiwilligendienst in einer Gedenkstätte zu machen und verbrachte anderthalb Jahre in Polen bei der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Dort arbeitete ich in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz bzw. in Oświęcim und betreute Gruppen sowie Überlebende. Das war mein Einstieg in die Gedenkstättenpädagogik.
Warum ist es für dich wichtig, Schüler*innen beim Besuch einer Gedenkstätte zu begleiten?
Es gibt zwei Aspekte, die für mich bei der Arbeit in Gedenkstätten relevant sind. Der erste ist mein politisches Engagement. Ich möchte gerne politischen Einfluss nehmen. Der zweite Aspekt betrifft die Schüler*innen und Besucher*innen. Gedenkstätten sind oft schwierige Orte, an denen schlimme Dinge passiert sind. Sie können Berührungsängste und Emotionen hervorrufen. In solchen Situationen ist es wichtig, die Besucher*innen zu begleiten und ihre Fragen zu beantworten. Es ist auch wichtig, Denkanstöße zu geben und über die Auswirkungen der Geschichte bis heute zu diskutieren. Faschismus, Rechtsextremismus und Rassismus sind nach wie vor große Probleme und es ist wichtig, Schüler*innen in ihren Emotionen aufzufangen und ihnen Mut zu machen, sich mit diesen Themen und diesem Teil der Geschichte auseinanderzusetzen.
Welche Arten von Gedenkstätten gibt es? Hast du einen Schwerpunkt?
Es gibt eine Vielzahl von Gedenkstätten, die sich in verschiedene Kategorien einteilen lassen. Einige stellen historische Orte dar, an denen Verbrechen begangen wurden, und beziehen sich auf bestimmte Zeiträume. Bekannte Beispiele sind NS-Gedenkstätten, die oft an ehemaligen Konzentrations- oder Vernichtungslagern errichtet wurden, sowie DDR-Gedenkstätten, die sich an Orten wie ehemaligen Gefängnissen, Einrichtungen der Staatssicherheit, Umerziehungslagern oder Grenzübergängen befinden. Andere Gedenkstätten befinden sich an Orten, an denen viele Menschen gestorben sind, beispielsweise in Kriegen. Hierzu zählen auch Gedenkstätten für den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Zudem gibt es Gedenkstätten, die sich auf historische Ereignisse beziehen, die einen bedeutenden Wandel hervorgerufen haben. Dazu zählt zum Beispiel die Gedenkstätte für die Märzgefallenen in Berlin, die an die 1848er Revolution erinnert. Darüber hinaus gibt es verschiedene Gedenkstätten-Konzepte, die je nach Entstehungszeit und politischem Anspruch variieren können. Während manche Gedenkstätten einen expliziten politischen Anspruch haben und ideologisch geprägt sind, möchten andere Geschehnisse politisch neutral darstellen.
Kannst du uns kurz dein Konzept vorstellen?
Die Frage nach meinem Konzept ist schwierig, da ich mich immer individuell auf die Schüler*innen und Gruppen einstelle, auf die ich treffe. Dabei arbeite ich ja nicht nur mit Schüler*innen, sondern auch mit Erwachsenen, bei denen ich je nach politischem Hintergrund unterschiedliche Herangehensweisen wähle. Wenn es beispielsweise um politisch rechts stehende Gruppen geht, positioniere ich mich explizit antifaschistisch. Generell ist es mir wichtig, keinen Frontalunterricht zu machen. Vielmehr möchte ich mit den Teilnehmenden ins Gespräch kommen und sie zum Nachdenken anregen. In meinen Konzepten spielt auch die Multiperspektivität eine große Rolle, indem ich nicht nur die Opfer-Perspektive thematisiere, sondern auch die Täter*innen-Seite und die Grauzone dazwischen beleuchte. Zudem ziehe ich Verbindungslinien in die Gegenwart und zeige auf, welche Einflüsse der Ort und die Geschichte heute noch haben.
Für welche Klassenstufen ist der Besuch einer Gedenkstätte geeignet?
Es ist keine einfache Frage, denn es hängt von vielen individuellen und subjektiven Faktoren ab. Zum Beispiel kann eine fünfte Klasse in Bezug auf ihre Reife im Vergleich zu einer anderen fünften Klasse sehr verschieden sein. Ich denke jedoch, dass der Besuch einer Gedenkstätte für Grundschüler*innen bis zum Alter von zwölf Jahren eher eine Überforderung ist. Ab der siebten Klasse können Schüler*innen damit beginnen, Gedenkstätten zu besuchen. Meistens werden die Besuche von den 9. oder 10. Klassen durchgeführt, wie zum Beispiel an meinem Arbeitsplatz in Ravensbrück. Ich halte das für ein sehr geeignetes Alter, aber man kann auch schon früher damit beginnen, wenn die Schüler*innen reif genug dafür sind. Im Vergleich zu Schüler*innen, die in die Sekundarstufe 2 gehen, habe ich auch sehr gute Erfahrungen mit jüngeren Schüler*innen gemacht. Sie trauen sich eher, Fragen zu stellen. Ich befürworte das sehr. Natürlich ist es auch gut wenn 11. oder 12. Klassen eine Gedenkstätte besuchen. Leider bleibt den Schüler*innen dafür oft keine Zeit.
Der Besuch einer Gedenkstätte kann sicherlich heftige Reaktionen auslösen. Gibt es Beispiele, in denen du von einem Besuch abraten würdest? Kann jeder bei einem solchen Besuch mitfahren?
Ich habe viel Erfahrung darin, dass meine Arbeit emotionale Reaktionen bei den Teilnehmer*innen hervorruft. Immer wieder sind einige von den Informationen so schockiert, dass sie weinen müssen. Diese Reaktionen sind natürlich und auch angemessen angesichts der schrecklichen Geschichte dieser Orte. Es gibt jedoch auch Klassen, in denen die Schüler*innen nicht so berührt scheinen. Ich denke, dass es kaum Schüler*innen gibt, die nicht in eine Gedenkstätte fahren sollten. Aber es gibt schwierige Fälle, wie zum Beispiel rechtsextreme Teilnehmende. Bei erwachsenen Rechtsextremen bin ich sicher, dass sie nicht in eine Gedenkstätte gehen sollten. Ihr Weltbild ist so gefestigt, dass ein Besuch sie in ihrer politischen Haltung nur bestätigt. Sie können und wollen natürlich auch keine kritische Perspektive einnehmen. Bei rechtsextremen Jugendlichen ist es schwieriger zu entscheiden, ob sie teilnehmen sollten oder nicht. Es gibt die Vorstellung, dass sie durch den Besuch geläutert werden könnten, aber das ist nie der Fall. Hier würde ich eher davon abraten, eine kurze Fahrt in die Gedenkstätte zu machen. Besser wäre es, mehrere Tage zu bleiben, die Gedenkstättenpädagog*innen darüber zu informieren und das Programm mit ihnen im Vorfeld genau abzustimmen. Es gibt jedoch unterschiedliche Meinungen dazu, ob man mit rechten Jugendlichen einen solchen Besuch machen sollte oder nicht. Ich bin zwiegespalten und würde immer den Einzelfall betrachten.
Ist es wichtig, die Schüler*innen auf den Besuch einer Gedenkstätte vorzubereiten? Was sollten Lehrer beachten, bevor sie eine Gedenkstätte besuchen?
Ich finde es absolut wichtig, die Schüler*innen auf den Besuch einer Gedenkstätte vorzubereiten. Es ist sinnvoll, sich mindestens eine Unterrichtsstunde Zeit zu nehmen und sich inhaltlich auf den Ort einzustellen. Gut finde ich, wenn man sich mit der Klasse einen Film oder eine Dokumentation zu dem Ort anschauen kann. Die Auseinandersetzung mit mehreren Einzelschicksalen kann auch eine sehr gute Vorbereitung sein. Zahlen und Fakten zu einer Gedenkstätte sind besonders für Schüler*innen sehr abstrakt. Wenn man sich aber mit einzelnen Häftlingen und Überlebenden oder auch Täter*innen auseinandersetzt, ist das eine deutlich intensivere Erfahrung. Der Besuch ist dann für die Schüler*innen noch beeindruckender, weil sie schon eine Biografie kennen und an den Ort fahren, an dem dieser Mensch gewesen ist oder ermordet wurde. Der Umfang der Vorbereitung ist auch abhängig davon, wie viel Zeit die Schüler*innen für den Besuch der Gedenkstätte haben. Schulklassen, die mehrere Tage für den Besuch einplanen, sind etwas Besonderes. Da hat man mehr Zeit, um sich mit individuellen Persönlichkeiten zu beschäftigen. Bevor man eine Gedenkstätte besucht, sollte man den Schüler*innen verdeutlichen, dass man an einen Ort fährt, an dem Schreckliches passiert ist. Wenn es ihnen nicht gut geht oder wenn sie Redebedarf haben, sollten sie jederzeit die Möglichkeit haben, sich an die Lehrkraft zu wenden. Die emotionale Vorbereitung ist also wichtig. Die Lehrkräfte sollten ihren Schüler*innen sagen, dass der Besuch schmerzhaft sein kann, es aber nicht sein muss. Die Schüler*innen müssen kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie nicht emotional berührt sind. Alle möglichen Reaktionen auf so einen solchen Ort sind okay. Wenn rechtsextreme Jugendliche in der Klasse sind, sollte man das deutlich benennen und sich als Lehrkraft davon distanzieren. Rechtsextreme Provokationen sind von vornherein zu unterbinden. Lehrkräfte sollten klarstellen, dass Schüler*innen, die sich so verhalten, sofort von dem Seminar, dem Workshop oder von der Führung ausgeschlossen werden. Schließlich gibt es noch ganz grundsätzliche Regeln für einen Gedenkstättenbesuch. Die Schüler*innen sollten wissen, dass man während der Führung nicht isst, weil es an diesem Ort pietätlos wäre. Sie sollten sich zudem an einen bestimmten Verhaltenskodex halten, weil es immer sein kann, dass Betroffene oder Angehörige von Opfern vor Ort sind, die schlechtes Benehmen sehr verletzen könnte.
Die Nachbereitung ist mit Sicherheit ein wichtiger Teil des Gedenkstättenbesuchs. Wie gestaltest du sie?
Ich habe in der Regel weniger mit der Nachbereitung der Gedenkstättenbesuche zu tun. Aber wenn sie Teil eines mehrtägigen Seminars vor Ort ist, halte ich die Gestaltung sehr offen. Ich versuche, mich dann auf die besonderen Bedürfnisse der Teilnehmenden einzustellen. Oft ist es einfach, eine Gesprächsrunde zu initiieren und zu fragen, was sie hier zurücklassen und was sie mitnehmen möchten. Die Frage “Was lasse ich hier?” zielt auf neue Erkenntnisse, die man gewonnen hat, auf die Veränderungen, die man jetzt sieht und auf alte Überzeugungen, die man vielleicht über Bord wirft. Die Frage “Was nehme ich mit?” bezieht sich darauf, was von diesem Besuch in der Gedenkstätte bleibt und was man mit in sein Leben nimmt. Das sind wichtige Themen, die in einer pädagogischen Einheit behandelt werden können. Es gibt auch die Möglichkeit, das Ganze schriftlich durchzuführen. Hierbei können die Schüler*innen ihre Antworten auf Zettel schreiben, die anschließend an einer Pinnwand aufgehängt werden. Der Vorteil dabei ist, dass die Schüler*innen nicht gezwungen sind, ihre Gedanken und Meinungen laut auszusprechen. Wenn jemand etwas nicht sagen möchte, kann man es einfach aufschreiben und bei einem erneuten Treffen in der Gruppe kann darüber gesprochen werden. Zwei Fragen, die ich in der Nachbereitung mehrfach gestellt habe, weil sie nie an Relevanz verlieren: „Was hat dieser Teil der Geschichte mit uns zu tun? Glaubst du, dass sich die Geschichte wiederholen kann?“ Dies sind wichtige Punkte, da sie uns auf aktuelle politische Themen aufmerksam machen und uns zeigen, dass, auch wenn es keine deutschen Konzentrationslager mehr gibt, es sehr wohl Menschen gibt, die diskriminiert werden. Dass es Kriege und Völkermorde gibt, auch im internationalen Kontext, auch in der Zeit nach dem Nationalsozialismus. Es besteht immer noch die Gefahr, dass so etwas wieder passieren kann. Dies ist ein wichtiger Gedanke, der bei der Nachbereitung berücksichtigt werden sollte.
Wenn die Zeit knapp ist, müssen die Lehrkräfte vielleicht selbst die Nachbereitung übernehmen. Hast du ein paar Tipps, worauf sie unbedingt achten sollten?
Es ist im Schulunterricht stets von Bedeutung, dass den Schüler*innen die Möglichkeit gegeben wird, sich zu Wort zu melden. Es ist wichtig, sie nach ihren Erfahrungen in der Gedenkstätte zu fragen. Es kommt oft vor, dass es eine schwierige Dynamik in der Klasse gibt. Es gibt Schüler*innen, die sich nicht trauen, sich zu äußern. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, das Feedback schriftlich zu geben. Man liest dann die Reaktionen und das Feedback durch. Dann ist es wichtig allen Reaktionen und Emotionen Raum zu geben und sie mit der Klasse zu besprechen. Es kommt nicht selten vor, dass Schüler*innen oder Besucher*innen nicht emotional oder betroffen reagieren, nicht weinen oder geschockt sind. In solchen Fällen können Schuldgefühle entstehen, die aufgefangen werden müssen. Lehrkräfte sollten daher vehement betonen, dass es völlig in Ordnung ist, nicht emotional zu reagieren. Das bedeutet ja nicht, dass einem das Thema egal ist. Bei Feedbackrunden kommt es oft vor, dass Schüler*innen oder Besucher*innen sich fragen, wie sie damals gehandelt hätten, sowohl aus Opfer- als auch aus Täter-Perspektive. Wenn es um die Täter*innenseite geht, wird oft das Argument vorgebracht, dass man mitmachen musste, um nicht selbst bestraft zu werden. Dieser Zwang sollte jedoch hinterfragt werden, da Geschichte niemals ein festgeschriebener Prozess ist, aus dem niemand aussteigen kann. Es gab immer Handlungsspielräume. Trotz der Gefahren gibt es Beispiele von Widerstand und Menschen, die versucht haben, etwas gegen das Unrecht zu tun. Die Feedback-Möglichkeit sollte ernst genommen werden und Schüler*innen die Gelegenheit geben, Verbesserungsvorschläge zu machen. Es ist wichtig, sie ausdrücklich danach zu fragen, was ihnen nicht gefallen hat und was sie anders machen würden.
Die meisten Schüler*Innen lernen aus Büchern und Filmen etwas über die deutsche Geschichte. Verändert der Besuch einer Gedenkstätte den Blick auf die Geschichte nachhaltig? Welche unmittelbaren Reaktionen erlebst du bei Schüler*innen?
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass ein Besuch einer Gedenkstätte den Blick auf die Geschichte nachhaltig verändert. Allerdings kann man Interesse wecken, was bereits ein großer Erfolg ist. Ich bin optimistisch, dass ich immer wieder Menschen für die Geschichte interessieren kann und ihnen einen Anlass biete, ihr Wissen zu vertiefen. Allerdings haben Schüler*innen oft keine gefestigte politische Position, sondern sind politisch geprägt. Diese Prägung kann sich in Ausnahmefällen ändern, aber ein Gedenkstättenbesuch kann beispielsweise eine starke rechte politische Prägung nicht auflösen. Hier braucht es mehr Zeit, um Einfluss zu nehmen. Studien zeigen, dass reale Erlebnisse im Privaten Positionen verändern können. Begegnungen mit diskriminierten Menschen haben das Potenzial dazu. Während eines Gedenkstättenbesuchs erscheint es jedoch schwierig, den Blick auf die Geschichte oder auf den Umgang mit Minderheiten nachhaltig zu verändern. Was ich oft erlebe, sind unmittelbare Reaktionen von Schüler*innen und Besucher*innen, die man als leichte Traumatisierung bezeichnen muss. Das kann von Weinen bis hin zu leichten Schockzuständen reichen. Auch Lachen kommt vor, aber das ist meistens eher ein Prozess der Klassen- oder Gruppendynamik und hat weniger mit dem Ort zu tun. Lachen und Kichern kann aber auch eine Reaktion auf die Überforderung sein, mittels der die Schüler*innen unbewusst eine psychologische Distanz zu schaffen versuchen. Leider habe ich auch schon rechtsextreme Provokationen erlebt. Zum Beispiel waren wir einmal in dem Wohnhaus des Kommandanten in Ravensbrück und ich stand mit dem Rücken zur Gruppe. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie ein Schüler den Hitlergruß machte, den er schnell wieder runter nahm. Das zeigt, dass es verfestigte rechte Positionen gibt, gegen die auch ein Gedenkstättenbesuch nichts ausrichten kann. Ich habe daraus gelernt, dass ich rechte Jugendliche während ihres Aufenthalts in der Gedenkstätte nicht mehr aus den Augen lassen sollte, was leider auch bedeutet, dass ich Gruppen mit solchen Teilnehmer*innen keine Zeit für sich geben kann.
Was war das schönste Feedback, das du von Schüler*innen bekommen hast?
Ich muss ehrlich sagen, dass es mir oft passiert, dass ich im Nachhinein höre, dass meine Führung oder mein Workshop sehr gut waren. Dieses Feedback wird oft emotional vorgetragen und die Dankbarkeit, die ich dabei spüre, ist ein großes Kompliment. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Begegnung in Ravensbrück zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers vor einigen Jahren. Eine Lehrerin, die mit einer Gruppe Schüler*innen gekommen war, erzählte mir, dass ihnen der erste Besuch und meine Führung so gut gefallen hatten, dass sie die Gedenkstätte nun erneut besuchten, was die Schüler*innen selbst vorgeschlagen hatten. Solche Erfahrungen sind für mich das Allerschönste!
Es gibt ja einige Jugendherbergen, die Teil einer Gedenkstätte sind wie z.B. die Wewelsburg, Ravensbrück oder Dachau. Welche Vorteile bietet deiner Meinung nach die Kombination aus Gedenkstättenbesuch und Klassenfahrt?
Es ist offensichtlich, dass eine Klassenfahrt in eine Gedenkstätte eine hervorragende Möglichkeit bietet, historisch-politische Bildung mit positiven Freizeitaktivitäten zu kombinieren. Im Schulalltag haben Schüler*innen leider selten Gelegenheit, sich so intensiv mit historischen Themen zu beschäftigen. Dabei sind meiner Erfahrung nach die meisten Jugendlichen an den historischen Verbrechen und der Geschichte von Konzentrations- und Vernichtungslagern interessiert, auch wenn Studien zeigen, dass das Wissen darüber abnimmt. Eine Klassenfahrt zu einer Gedenkstätte kann diesem Trend entgegenwirken. Am schönsten fände ich aber, wenn Lehrpläne und Finanzen es ermöglichten, dass Schüler*innen zusätzlich zu einer regulären Klassenfahrt auch eine Fahrt in eine Gedenkstätte machen könnten. Klassenfahrten bieten den Raum, dass Schüler*innen sich außerhalb der Schule begegnen und in der Gemeinschaft positive Erfahrungen sammeln. Ein Besuch einer Gedenkstätte schließt dies nicht aus, behandelt jedoch Themen, die belastend sind. Eine zusätzliche Gedenkstättenfahrt ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte, die im Schulalltag so nicht möglich wäre. Der politische Aspekt spielt dabei auch eine Rolle. Obwohl man keinen politischen Einfluss auf die Schüler*innen nehmen sollte, ist es angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen und dem Wiedererstarken von demokratiefeindlichen Positionen wichtig, politische Aufklärungsarbeit zu leisten. Eine Klassenfahrt zu einer Gedenkstätte ist auf diesem Weg ein geeignetes Instrument.
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