English Adventure mitten in der Natur: Kreatives Forschen beim MINT-Camp in Hameln
Bio, Physik und Chemie in den Ferien? Und alles auf Englisch? Of course! Bei der Freizeit “English Adventures: MINT Camp” in der Jugendherberge Hameln entdecken, forschen und erleben Kinder Naturwissenschaften einmal anders. Hier werden Eier aus dem ersten Stock geschmissen, Vulkane zum Explodieren gebracht, tragfähige Brücken aus Bastelmaterialien gebaut.
Johannes ächzt. Sein rechter Arm klemmt unter dem lang gestreckten linken Bein, mit seiner Stirn liegt er neben seinem rechten Knie. Oder, wie es hier heißt: Kopf auf Rot, rechtes Knie auf Gelb, linker Fuß auf Grün. Beziehungsweise „left hand orange!“, denn das ist die nächste Herausforderung bei diesem englischsprachigen Twister-Spiel. Nicht nur auf dem Boden geht es dabei bunt zu, auch die Lichter im Diskoraum auf dem Gelände der Jugendherberge Hameln blinken abwechselnd in allen erdenklichen Farben. Johannes ächzt, streckt sich noch ein bisschen mehr. „Get those knees up!“, ruft Teamer Jordan und klatscht in die Hände. „Come on!“ – „It´s not comfortable“, antwortet Johannes, und dann verliert er endgültig das Gleichgewicht.
Es ist kurz vor der Mittagspause an diesem Donnerstag beim MINT-Camp in der Jugendherberge Hameln. Dort, direkt an der Weser gelegen, urlauben normalerweise neben Schulklassen und Messegästen vor allem Familien, Radfahrer und Wanderer und genießen die Nähe zur Natur. Jetzt sind für eine Woche 14 Teens eingezogen – und auch bei ihnen spielt die Natur eine Rolle, mehr noch: die Naturwissenschaften. Denn die Abkürzung MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Und für diese Themen brennen die Zwölf- bis 16-Jährigen.
Bei Johannes brennen gerade aber vor allem die Knochen, von den vielen Twister-Runden. Was er heute etwas schmerzlich spürt, musste er gestern auf andere Weise ganz bewusst wahrnehmen: das eigene Skelett. Und zwar ohne sich Abbildungen im Internet oder Lehrbuch anzuschauen. Knochen für Sehne für Gelenk galt es zu ertasten, aufzuzeichnen – und dann nachzubauen. Mit Strohhalmen, Marshmallows, Spagetti, Fäden und Bändern. Eine kreative Herausforderung, die Naturwissenschaften zum Erlebnis macht. Schließlich geht es beim MINT-Camp nicht allein ums Lernen, sondern mehr noch ums Entdecken, Erforschen und Verstehen.
Andere Aufgaben dieser Woche: ein rohes Ei so verpacken, dass es beim Sturz aus dem ersten Stock nicht zerbricht. Einen Vulkan basteln, der am Ende der Woche wirklich zum Ausbruch gebracht wird. Aus Bastelmaterialien und Spaghetti eine Brücke konstruieren, die trägt. Aus lediglich zwei Blättern den höchsten Turm bauen. Aber auch: tanzen, Yoga machen, in der Weser schwimmen, gemeinsam grillen. Spaß haben.
Und Englisch lernen.
Die fremde Sprache nämlich, die steht in der gesamten Woche im Mittelpunkt. Die beiden Teamer, die die Freizeit betreuen, sind Muttersprachler: Tania ist in Amerika geboren, hat aber schon an vielen Orten in der Welt gelebt – zuletzt in Italien, bevor sie nach Berlin gezogen ist. Für die Kinder ist sie T-Money, das ist ihr Spitzname hier im Camp.
Jordan kommt aus Australien, hat zwischendurch in Korea gelehrt und ist seit April in Deutschland. „Wir wollen die Kinder dazu ermutigen, ausschließlich Englisch zu sprechen“, sagt er. Spiele wie Twister sollen dafür sorgen, dass die Teens sich auch in solchen herausfordernden Situationen auf der fremden Sprache verständigen – und es so immer selbstverständlicher für sie wird. Und tatsächlich: „Es ist erstaunlich, wie viel sicherer die Kinder jetzt schon auf Englisch unterhalten können“, lobt Jordan. „What do you like about the camp, Jojo?“, fragt Jordan dann und wendet sich Johannes zu.
„Well“, beginnt Johannes seine Antwort wie ein echter Brite, „what I like the most is that we can decide what we want to do.“
„Yeah, you’re right“, stimmt im Jordan zu. „That’s what it’s all about: connecting people“, erklärt er dann, und bittet Johannes, das zu übersetzen.
„Ja, also, es geht darum, uns miteinander zu verbinden“, sagt Johannes. Und, klappt das auf Englisch? „Ja, sehr gut“, meint Johannes, schaut dann in das fragende Gesicht von Jordan und ergänzt. „Yeah, that works pretty well.“ Die beiden geben sich ein High-Five.
Auch Falko am Nebentisch hat schon eine Verbesserung festgestellt. „Eigentlich bin ich es nicht gewohnt, Englisch zu sprechen“, gibt der Neuntklässler zu. „Aber hier traut man es sich irgendwie eher. Und selbst, wenn man etwas nicht weiß, helfen einem die anderen.“ Eigentlich sieht der 14-Jährige seine Stärken eher in Physik, Chemie, Mathe und Bio – jetzt aber entdeckt er auch die Fremdsprache immer mehr für sich. „Das macht total Spaß. Auch, weil die Teamer nicht so alt sind wie unsere Lehrer. Die sind mehr wie wir.“
Sein Zimmer teilt Falko sich mit Mohammed, Bent und Cederic. Die vier kannten sich vorher nicht, sind mittlerweile aber ein eingeschweißtes Team. „Wir verstehen uns einfach richtig gut“, sagt Mohammed. Vor zwei Jahren ist der 16-Jährige als Flüchtling nach Deutschland gekommen, spricht die Sprache mittlerweile fließend. „Ich finde es gut, dass ich jetzt auch noch mein Englisch verbessern kann. Nicht so wie im Unterricht, sondern im Alltag. Irgendwann denkt man sogar auf Englisch. Vieles hat dabei mit Bewegung zu tun, wir machen jeden Tag etwas Neues. Und man muss nichts tun, worauf man keine Lust hat.“
Das gehört zum Konzept: Die Kinder dürfen mitentscheiden, was am nächsten Tag geschieht. „Wir stellen unsere Programmpunkte vor, bieten den Teens aber auch an, ihre Vorschläge einzubringen“, erklärt Jordan vom Kooperationspartner meinSchulprojekt, der für das Camp auch mit Cornelsen zusammenarbeitet. Der 13-jährige Bent hat zum Beispiel vorgeschlagen, kleine Flöße zu bauen und zu schauen, welches sich am längsten auf dem Wasser halten kann. „Man wird hier ernst genommen mit seinen Ideen“, sagt der Neuntklässler aus Bad Homburg. „Das finde ich toll.“
Und ein bisschen werden die Kinder auch aus ihrer Komfortzone gelockt. Etwa bei der Stadtralley, bei der es in Teams bestimmte Aufgaben zu lösen galt. „Wir mussten zum Beispiel Gebäude in der Altstadt finden, und witzige Fotos machen“, sagt Johannes und zieht lachend sein Handy aus der Hosentasche. „Guck mal, das ist Jerome mit Kleid und Blumenhaarreifen“, sagt der 13-Jährige und zeigt ein Bild aus der Whatsapp-Gruppe seines Teams. Jerome ist einer seiner besten Freunde, sie haben sich gemeinsam für das MINT-Camp angemeldet. Es ist ihre erste Freizeit zusammen.
Jetzt, nach der Mittagspause, stehen Jerome und Johannes in der Kinderdisko. Beziehungsweise: Johannes steht, und Jerome liegt auf Johannes’ Rücken. „That’s good for stretching“, betont Tania, die ausgebildete Tänzerin ist. Dann machen die beiden Jungs, zum ersten Mal in ihrem Leben, Yoga-Übungen. „Auch das gehört für mich zur Naturwissenschaft“, sagt Tania. „Verstehen, was im eigenen Körper passiert, und wie man ihm begegnen kann.“ Im Hintergrund läuft die Titelmelodie von Ghostbusters, das haben sich die Kinder ausgesucht. An der Wand hängt ein handbemaltes Laken, auf dem „Good Vibe Tribe“ steht. So haben sie sich genannt, und dazu einen Hashtag gewählt: #happyfamily.
Good Vibes herrschen auch gerade im angrenzenden Haupthaus der Jugendherberge. Dort, in einem der Gruppenräume im ersten Stock, sitzt der andere Teil der Gruppe in einem Halbkreis um Jordan. Die Jungs haben die Augen geschlossen, die Beine überschlagen. Meditation. Zwischen all den Eindrücken und dem neugewonnenen Wissen eine kurze Auszeit für den Kopf. “Ich glaube, dass es gerade für Schüler wichtig ist, sich zwischendurch auch einmal auf sich zu konzentrieren”, ist Jordan überzeugt. Zur Selbstreflexion und zum Stressabbau. “What do you think about it?”, fragt er dann in die Runde. Mohammed lächelt. “I never did this before”, gibt er zu. “But it feels good, it’s really relaxing.” Die anderen stimmen ihm zu, dann schließen sie wieder die Augen, lehnen sich nach vorne und entspannen weiter.
Am Abend geht es dann wieder in den Wald. Wandern, mitten in der Natur. Das ist zwar keine Wissenschaft. Aber auch dabei gibt es viel zu forschen und entdecken. Und wenn es nur die Tatsache ist, dass man selbst schon viel besser Englisch sprechen kann, als man sich zugetraut hat.
Na, auch Lust auf ein English Adventure? Für das nächste MINT-Camp vom 30. September bis zum 7. Oktober in der Jugendherberge Hameln sind noch Plätze frei. Weitere Termine sind für die Woche vom 24. bis 31. März 2018 und den 28. Juli bis 4. August 2018 geplant. Weitere Infos und Buchungsmöglichkeiten gibt es hier.
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