Teamer auf Klassenfahrt: Kumpel und Kompetenzträger

Sommerferien! Für die einen heißt das „Füße hochlegen“, für die anderen „Ärmel hoch und anpacken“. Wenn Eltern und ihre Kinder gemeinsam frei haben, beginnt für eine andere Gruppe die herausforderndste Zeit des Jahres: für die 60 Teamer der Jugendherbergen zwischen Nordsee und Sauerland. 40 Kinder- und Jugendfreizeiten werden allein in den niedersächsischen Sommerferien von ihnen betreut. Ich wollte herausfinden, was es bedeutet, Klassenfahrten und Ferienfreizeiten zu betreuen, und bin deshalb in die Jugendherberge Damme gefahren. Dort konnte ich dem Teamer-Duo Martin und Lara einen Tag lang dabei über die Schulter schauen, wie es eine Horde Fünftklässler im Grünen spielerisch für Teamwork begeistert hat.

Aufsichtspflicht – oft rund um die Uhr

Mittwochabend, kurz nach 22 Uhr. Im Spielraum der Jugendherberge Damme blicken Martin, Ivo, Justin, Malte und Michael misstrauisch von einem zum anderen. Wem kann man hier noch trauen, frage auch ich mich – und schaue ihnen mit Pokerface in die Gesichter. Am Tisch wird gelogen, bis sich die Balken biegen, so viel ist sicher. Und das ist in diesem Moment auch gut so: Wir sind mittendrin im Kartenspiel „Lügen“. Vor uns auf dem Tisch liegen Süßigkeiten, umringt von halbleeren Getränkeflaschen. Die Teamer haben Feierabend – eine Situation, die sie so nur von Klassenfahrten kennen.

„Bei den Ferienfreizeiten, wenn wir rund um die Uhr Verantwortung für bis zu 40 Kinder tragen, gibt es für uns keinen Feierabend“, erzählt mir Martin Wiedenhöft zwischen zwei Spielrunden. „Da würden wir jetzt auf den Fluren unterwegs sein, die Nachtruhe einläuten, Fragen zum nächsten Tag beantworten, vielleicht Heimwehtränen trocknen. Irgendwann würde natürlich auch ich ins Bett gehen, aber die Tür zum Flur offen lassen. Bei Kinder- und Jugend-Freizeiten liegt die Aufsichtspflicht bei uns und wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Tag und Nacht für die Kids da.“

Martin gehört zu den Teamern der ersten Stunde. Seit 2014 haben die Jugendherbergen zwischen Nordsee und Sauerland für ihre erlebnispädagogischen Programme eigene Betreuerinnen und Betreuer, den sogenannten „Teamer-Pool“. Ob am Borkumer Strand bei einer Piratenfreizeit für Familien, ob in Winterberg beim Downhill-Biken oder – wie jetzt – in den Dammer Bergen bei der Klassenfahrt „Das Bewegte Klassenzimmer“, Martin ist von Beginn an mit großer Leidenschaft dabei, das merkt man sofort. „Gerade in den Ferienfreizeiten baut man enge Beziehungen zu den Kindern auf. Da rinnen beim Abschied schon mal Tränen“. Sein Teamerkollege Ivo teilt seine Begeisterung: „Es ist der beste Job überhaupt, echt. Nach der ersten Klassenfahrt im Jahr bin ich jedes Mal regelrecht angeknipst. Mir fehlt die Arbeit mit den Kindern total, wenn saisonbedingt kaum etwas stattfindet.“

Während unseres Gesprächs gucken plötzlich Amelie und Lara um die Ecke. Sie sind in diesen Tagen die weibliche Verstärkung die Teamertruppe. Für Lara ist es der erste Einsatz für die Jugendherbergen. Bei ihrer DJH-Premiere ist sie in den besten Händen: Martin wird am nächsten Tag ihr Team-Partner sein. Wie auch die anderen Teamer übernehmen sie zu zweit eine Schülergruppe. Die Tasche mit dem Equipment für den nächsten Tag ist bereits gepackt.

Freund sein – und Respektsperson bleiben

Der nächste Morgen, 7.40 Uhr. Auf dem Weg zum Frühstück kommt mir Martin mit einer vollen Tasse Kaffee entgegen. Ob er schon gefrühstückt habe, frage ich ihn. Hat er. Als Koordinator der Klassenfahrt sei es für ihn eine Selbstverständlichkeit, der erste am Frühstücksbüffet zu sein. „Ich schau nochmal nach unseren Materialien und bespreche mich mit Lara. Wir sehen uns dann in gut einer Stunde, ja?“

Wie verabredet treffe ich Martin, Lara und ihre Gruppe Fünftklässler Viertel vor Neun vor der Jugendherberge. Gerade gibt´s eine kleine Standpauke von den Lehrkräften: Es habe ein großes Missverständnis am Abend vorher gegeben, aus dem sich unfreundliche Gerüchte entwickelt hätten, so der Lehrer verärgert. „Was machst Du eigentlich, wenn Kindern deiner Gruppe immer wieder aus der Reihe tanzen?“ frage ich Martin flüsternd. „Ich beziehe sie meist umso aktiver ein, verteile verantwortungsvolle Aufgaben. Meistens gelingt es, für Ordnung zu sorgen. Ich hab ja zum Glück selbst Kinder und kenne daher ein paar Kniffe“.

Zu den Kniffen gehöre es auch, auf dem Laufenden zu sein, was bei Schülern aktuell Trend ist. Martin zieht einen Spinner in Batman-Optik aus der Tasche. “Wenn Du so etwas dabei hast, dann steigt Dein Coolnessfaktor natürlich sofort.” Teil der Gruppe möchte er sein, nicht maßregelnder Anführer,so der 40-jährige. “Eher ein Freund. Aber natürlich auch Respektsperson. Das klappt am besten, wenn man sich auf die Themen der Kids einlässt.” Er steckt den Spinner zurück in die Hosentasche.

Die Standpauke ist vorüber, Martin und Lara übernehmen das Wort. “Wie sieht´s aus? Habt Ihr Euch alle mit Sonnenmilch eingecremt? Alle startklar? Na, dann los.” Die Gruppe setzt sich in Bewegung. Es geht gemeinsam hoch in Richtung Bergsee. Der Weg dorthin wird bereits für die ersten zwei vertrauensbildenden Spiele genutzt, die auch ihr ohne viel Aufwand mit Eurer Familie oder einen Ausflugsgruppe mal ausprobieren könntet.

Beim ersten stehen sich zwei Menschenreihen gegenüber, jeweils zwei Personen strecken sich die Hände entgegen und bilden so eine Barriere. Eine Person aus der Gruppe muss nun in hoher Geschwindigkeit durch die Menschenkette rennen – und darauf vertrauen, dass die „Arm-Schranke“ vor ihm oder ihr rechtzeitig nach oben schnellt. Die ersten probieren es. Etwas zögerlich. „Was ist das denn?“, ruft Martin provokant. „Ich zeig Euch jetzt mal, wie das geht.“ Er stellt sich fünf Meter vor der Gruppe auf, ruft ein lautes „Seid ihr bereit?“. Die Kinder schreien ein deutlich wacheres „Jaaaa“ zurück. Martin nimmt Anlauf und flitzt in einem Affenzahn und mit einem lauten Getöse durch die Schülerreihen. Die Kids lachen.

Nach und nach sind alle Kinder dran. Bedenken einzelner Mädchen werden ernst genommen, können aber zerstreut werden. Am Ende läuft jedes Kind und auch die Lehrer einmal hindurch. Jeder in seinem Tempo.

Eine Frage des Vertrauens

Das nächste Spiel absolviert jedes Team auch in seiner individuellen Geschwindigkeit: Je zwei SchülerInnen müssen gemeinsam eine Strecke zurücklegen, bei der es über Stock und Stein geht. Eine Person hat die Augen verbunden, die andere führt. Start: Direkt am Hang, über den es runter zum See geht. Lara verteilt die Augenbinden, prüft, ob sie wirklich die Augen dunkel verschließen und gibt nach und nach für jedes Team den Startschuss. Martin ist bereits voraus gelaufen und verteilt zusätzliche Äste als Hindernisse auf dem Weg. Es ist spannend zu erleben, wie unterschiedliche die Zweiergruppen die Aufgabe erledigen: die einen fürsorglich langsam, die anderen übermütig albern, wieder andere nüchtern und stoisch. Aber niemand wird unsicher, alle behalten ihre Augenbinden auf.

Am Bergsee angekommen, demonstriert Martin, warum man in ihm nicht schwimmen darf. Dazu lässt er einfach einen dicken Ast mühelos und in hoher Geschwindigkeit senkrecht im Boden versinken. “Wir befinden uns in einer Moorlandschaft. Hier könnt ihr in Nullkommanix im Boden versinken. Es ist daher streng verboten, dass Ihr in den See geht. Weil es gefährlich ist. So ist das bei vielen Verboten. Erwachsene stellen sie nicht auf, um Euch zu ärgern. Warum stellen sie sie auf?” Einige Schüler melden sich. “Ja, Pia?” “Um uns zu schützen?”, meint Pia. “Ganz genau: um Euch zu schützen.”

Gemeinsam Lösungen erarbeiten

Der Vormittag schreitet voran und von hinten nähern sich schon Justin und Amelie mit ihrer Gruppe. Weiter geht´s, denn drei Spiele warten noch auf die Gruppe, bevor gegen 12 Uhr das gemeinsame Mittagessen auf dem Programm steht. Bei allen Gruppenspielen geht es um eins: Teamwork. Nur wenn alle mitdenken und sich an Vereinbarungen halten, kann die jeweilige Aufgabe gelöst werden. Dafür verteilt Martin jedes Mal einen Redestock. “Nur wer den Stock hat, hat auch das Wort.”

Ich nutze die Zeit für einen kleinen Plausch mit der begleitenden Lehrerin. Sie berichtet mir, dass es für sie die erste Klassenfahrt ist, bei der die Programminhalte von Teamern betreut werden. Und das habe deutliche Vorteile: “Zum einen müssen wir natürlich weniger vorbereiten, nicht erst die Umgebung erkunden und keine Spiele und Routen entwickeln. Zum anderen, und das ist noch viel entscheidender, haben wir Gelegenheit, unsere Schüler in Ruhe zu beobachten. Normalerweise wären wir ja damit beschäftigt, Regeln für Spiele zu erklären oder Konflikte zu klären. Dieses Mal können wir die Interaktion der Schüler untereinander unter die Lupe nehmen und lernen sie darüber viel besser kennen.”

Und da gibt es tatsächlich eine Menge zu beobachten, auch für mich. Schnell ist klar, wer in de Gruppe die Rolle des fürsorglichen Vermittlers, wer die des Querulanten übernimmt. Es gibt das modische Mädchen und das musikverliebte Mädchen. Es gibt die Vorlauten und die Schüchternen. Es gibt die, die ärgern, und die, die sich das stets besonders zu Herzen nehmen. Und für die gibt es dann Klassenkameraden, die gut im Trösten sind. Tränen trocknen, zuhören und neu ermuntern gehört aber auch zu den Aufgaben der Teamer. Wenn im Spiel Streit ausbricht, sind sie es, die Lösungswege aufzeigen.

Pünktlich zur Mittagszeit kehrt die Gruppe zurück zur Jugendherberge. Die Spiele haben sie alle erfolgreich absolviert und dafür am Ende einen Schatz erhalten. Nun heißt es: Hunger stillen. Für die Teamer währenddessen: aufräumen, wegräumen und den Nachmittag vorbereiten.

Lara und Amelie bauen die Slacklines auf dem Waldspielplatz ab, während Martin bereits die Umgebung nach Naturfunden absucht, die gleich für das Waldmemory genutzt werden können. Der Nachmittag steht nämlich ganz im Zeichen der Waldpädagogik.

Voneinander lernen

Nachdem alle erledigt ist, geht es auch für die drei Teamer zu Tisch. Dort treffen nach und nach auch die anderen fünf ein. Beim Essen werden Einsätze für die nächsten Monate besprochen. Wer ist wann wo? Wer möchte sich bei wem noch anschließen? Wo gibt es noch Termine, die nicht besetzt sind? Unter den Teamern haben sich im Laufe der Zeit eingespielte Teams herausgebildet, die gern zusammen bei einer Freizeit oder Klassenfahrt im Einsatz sind. Einige, so höre ich raus, treffen sich sogar privat.

“Wir lernen unheimlich viel voneinander”, meint Amelie, als ich in die Runde frage, woher sie überhaupt immer die ganzen Spielideen und das Umweltwissen nehmen, das sie in diesen Tagen brauchen. Die anderen nicken. “Und der Wissensschatz im Teamerpool ist aufgrund unserer verschiedenen Werdegänge wirklich enorm”, fügt Martin an. “Ich habe beispielsweise Dipl.-Freizeitwissenschaften und Adventure Ecotourism Management studiert und bin außerdem Kajaklehrer mit Ökologieschulung. Andere Teamer haben einen Abschluss in Biologie, Freizeit,- Kultur,- und Sportwissenschaften oder Pädagogik. Fast alle reisen gern in fremde Länder, viele waren schon früher Jugendgruppenleiter oder haben ein Freies Ökologisches Jahr gemacht. Kurz gesagt: Da kommt insgesamt viel Fachwissen und Lebenserfahrung zusammen.”

Nach dem Mittagessen geht es für die Gruppe von Martin und Lara wieder zurück zum Waldspielplatz. Unter einen Decke liegen 15 Blätter, Zapfen und andere Fundstücke aus der unmittelbaren Umgebung. Eine Minute lang wird die Sammlung aufgedeckt, dann müssen die Schüler nach dem 15 Objekten suchen. Alle machen sich auf, die einen sehr engagiert, die anderen her gemächlich.

Nach gut einer Viertelstunde wird aufgelöst – und dabei deutlich, dass Zapfen nicht gleich Zapfen ist. Martin erklärt den Unterschied zwischen hochwachsenden und runterwachsenden Exemplaren und lässt seine Zuhörer auch wissen, dass Tannenzapfen prima Kaminanzünder sind. Er verrät, dass man sich im Wald hervorragend orientieren kann, wenn man weiß, dass Moos immer in Richtung Norden zu finden ist. Auf viele Fragen, die er rund um die Naturvorkommen stellt, bekommt er von den Schülern die richtigen Antworten. Ich bin verblüfft und nehme mir vor, die App “Naturblick” runterzuladen, die Martin auch auf seinem Smartphone installiert hat.

Nach dem Waldmemory geht es abwärts, allerdings nicht mit der Stimmung. Ganz im Gegenteil: In vier Kleingruppen aufgeteilt haben die Fünftklässler bei ihrer Aufgabe, am Waldhang überdimensionale Murmelbahnen aus Naturmaterialien zu bauen, einen riesigen Spaß. Vier Kriterien müssen sie dabei erfüllen: die Gruppe muss gemeinsam bauen, die Kugel muss einmal auf ihrem Weg unsichtbar werden, einmal ein Geräusch auslösen und einmal etwas umwerfen. Die vier Ergebnisse sind so unterschiedliche wie die Gruppen, aber alle mit Liebe zum Detail gestaltet. Ein toller Abschluss des Tages.

Dass nicht nur ich das so empfinde, wird klar, als wir gegen 17 Uhr in einem großen Abschlusskreis auf der Wiese zusammensitzen und alle – Schüler, Teamer, Lehrer und ich – eine Feder und einen Stein rumgehen lassen. Mit der Feder in der Hand darf jeder sagen, was ihm an diesem Tag besonders leicht gefallen ist, mit dem Stein, was eher schwer war. Federleicht war für die meisten tatsächlich die Murmelbahn. Einige lobten aber auch das Essen, den Rundweg um den See und die Teamer. “Teamer machen mit uns andere Sachen als unsere Lehrer. Die wären mit uns wahrscheinlich nicht auf eine Slackline gegangen”, heißt es zum Beispiel.

Eine Stunde später fahre ich bei prasselndem Regen mit dem Auto zurück nach Bremen. Mit mir im Wagen: Lara, Ivo und Michael. Alle drei dösen mit geschlossenen Augen. Kräfte sammeln, bevor es bald wieder zum nächsten Einsatz geht.

Teamer bei den Jugendherbergen zwischen Nordsee und Sauerland können grundsätzlich alle Interessierten über 18 Jahren werden, die Spaß am Umgang mit Kindern haben und erste Erfahrungen im pädagogischen Bereich vorweisen können. Ein Polizeiliches Führungszeugnis und der Nachweis über die Teilnahme an einem Erste Hilfe-Kurs ist ebenfalls nötig. Wer in den Teamer-Pool aufgenommen wird, nimmt vor dem ersten Einsatz an einer zweitägigen Schulung teil. Außerdem gibt es für Teamer einen speziellen Outdoor-Erste-Hilfe-Kurs. Bestens gewappnet geht es dann in die Praxis – vielleicht wie bei Teamer Justin als erstes auf eine Nordseeinsel.

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