Interview mit Mirko Drotschmann – Geschichte(n) erzählen 2.0

Im Interview mit Mirko Drotschmann wird deutlich, dass er sich für den Geschichtsunterricht vor allem eins wünscht: begeisterte und begeisternde Lehrkräfte, die einen Gegenwartsbezug herstellen und es schaffen, Geschichten zu erzählen, dass Schülerinnen und Schüler bei der Methodenauswahl und Unterrichtsplanung einbezogen werden und eine bundesweite Verpflichtung, Gedenkstätten zu besuchen.
Mirko Drotschmann, bekannt als „MrWissen2go“, erklärt in seinen YouTube-Videos komplexe geschichtliche und politische Sachverhalte in wenigen Minuten – und erreicht damit Millionen von Menschen.
Was haben junge Menschen momentan für ein Geschichtsbild?
Ich denke, das Geschichtsbild der meisten jungen Menschen ist geprägt durch den Geschichtsunterricht, und da kommt es ganz auf die Lehrkraft an. Es gibt tolle Lehrkräfte, die lebendig, begeistert und begeisternd über Geschichte sprechen und den Gegenwartsbezug herstellen können, die die Relevanz der Auseinandersetzung mit Geschichte klarmachen können. Es gibt aber auch Lehrkräfte, denen das nicht so gut gelingt und die dafür sorgen, dass Geschichte eher etwas Abschreckendes ist. Insgesamt glaube ich, dass sich die allermeisten jungen Menschen grundsätzlich für Geschichte interessieren, wenn man sie ihnen lebendig und anschaulich vermitteln kann.
Wie erreicht und begeistert man junge Menschen für vermeintlich trockene Themen?
Indem man selbst begeistert ist von dem, was man vermittelt. Natürlich gelingt das nicht immer. Wenn man über die Präsidialkabinette der Weimarer Republik spricht, ist das erst mal ein ziemlich trockenes Thema, bei dem man wenig Funken überspringen lassen kann. Aber auch hier kann es gelingen, Bezüge zur Gegenwart herzustellen, die Relevanz zu vermitteln und mit dramaturgischen Elementen zu arbeiten. Wenn Schülerinnen und Schüler merken, dass die Lehrkraft selbst begeistert ist vom Lehrstoff, dann gelingt es auch, die Schülerschaft zu überzeugen und tiefer einzusteigen.
Muss der Geschichtsunterricht digitaler werden? Wie wichtig sind hierbei Exkursionen zu historischen Stätten?
Meiner Meinung nach ist das essenziell. Ich würde mir wünschen, dass Schülerinnen und Schüler in Deutschland mindestens einmal in einer KZ-Gedenkstätte gewesen sind. Das ist in einigen Bundesländern Pflicht, in anderen nicht. Die Jugendherbergen können entsprechende Übernachtungsmöglichkeiten und ein Rahmenprogramm anbieten. Auch andere Orte, an denen Geschichte erlebbar und erfahrbar ist, tragen dazu bei, ein Bewusstsein zu schaffen. Natürlich kann man sich auch mit digitalen Hilfsmitteln intensiv mit historischen Themen beschäftigen, aber wenn man an Ort und Stelle ist, die Dinge greifen und mit eigenen Augen sehen kann, dann ist das noch mal was ganz anderes. Ich bin froh, dass wir in Deutschland eine Kultur haben, die darauf bedacht ist, Gedenkstätten am Leben zu erhalten, und dass Gedenkstätten generell kostenlos sind. Auch das ist ein Faktor, der eine Rolle spielt – und ich hoffe, dass das so bleibt.
Apropos Jugendherbergen: Welche persönlichen Erinnerungen verbindest du mit ihnen?
Ich erinnere mich daran, dass ich bei meinem letzten Besuch begeistert davon war, wie sich die Jugendherbergen gewandelt haben. In meiner Schulzeit waren Jugendherbergen noch so, wie man sie sich klischeehaft vorstellt: spartanisch eingerichtet, Zimmer mit acht Betten, man musste sein Geschirr selber spülen, das Essen auch noch zur Hälfte selbst kochen. Das ist zum Teil ja immer noch so, was ich auch gut finde, aber inzwischen sind sie deutlich angenehmer gestaltet. Da brauchen sich Jugendherbergen auch nicht vor Hotels verstecken, die in einem ähnlichen Preissegment unterwegs sind.
Inwiefern hat sich Bildung durch die Digitalisierung verändert?
Wie in allen Bereichen kann man gar nicht anders, als von einer Revolution zu sprechen. In dieser Revolution stecken wir gerade noch mittendrin. Corona hat die Digitalisierung im Bildungsbereich enorm befeuert und verdeutlicht, in welchen Bereichen Dinge noch nicht so gut laufen. Deshalb würde ich sagen, dass die Digitalisierung die Bildung in den Grundfesten verändert hat – und immer noch verändert. Die Frage ist nicht mehr: mit oder ohne Digitalisierung? Sondern: Wie geht man mit Digitalisierung in der Bildung um?
Welche Chancen und Probleme siehst du in der digitalen Vermittlung von Wissen?
Große Chancen sehe ich darin, dass man alle Gesellschaftsschichten erreichen kann, auch Menschen, die mit manchen Themen erst mal nicht so viel anfangen können, die sich dann aber, weil das auf der Plattform stattfindet, auf der sie unterwegs sind, davon angesprochen fühlen. Außerdem hat man ein sehr nahbares Verhältnis zu den Zuschauerinnen und Zuschauern. Man bekommt eine direkte Rückmeldung, ist also sehr nah dran am Publikum. Probleme liegen sicherlich darin, dass jede und jeder dort Inhalte veröffentlichen kann. Das ist einerseits eine tolle Sache, andererseits birgt es die Gefahr, dass Falschmeldungen und Hass verbreitet werden und dass ein Korrektiv fehlt, das die Dinge prüft, bevor sie veröffentlicht werden. Unter Umständen läuft man dann Gefahr, Inhalte für wahr zu halten, nur weil sie professionell und ansprechend präsentiert sind. Das ist ein großes Problem, auf das man im Unterricht eingehen sollte.
Wie können Schüler*innen aber auch Lehrkräfte erkennen, welche Online-Angebote vertrauenswürdig sind?
Zum Beispiel in Form eines Fachs wie Medienpädagogik. Da könnte man genau so was vermitteln. Also: Wer steckt hinter einer Information? Wer ist der Absender? Was kann man über die Person oder über die Firma herausfinden? Außerdem kann man prüfen, wie mit Sprache gearbeitet wird. Wird da eine Meinung mit Fakten vermischt? Wird da sauber getrennt? Gibt es emotionalisierende Formulierungen? Und dann natürlich auch: Welche Quellen wurden verwendet? Wurden diese überhaupt angegeben? Wenn ja, was sind das für Quellen? Sind sie verlässlich? Das sind alles Punkte, die man prüfen kann und danach kommt man hoffentlich zu einem Ergebnis.
Wie gehst du mit Falschinformationen oder Verschwörungstheorien in den Kommentaren unter deinen Beiträgen um?
Ich versuche, mich immer gut zu informieren und bei der Recherche zu schauen, dass alles stimmt, was ich im Video sage. Da gehe ich natürlich nach journalistischen Kriterien vor. Was die Kommentare angeht: Wenn hier Falschinformationen oder Verschwörungsideologien auftauchen, dann versuche ich, mit Fakten dagegenzuhalten. Das machen auch die Zuschauerinnen und Zuschauer regelmäßig. In der Kombination funktioniert das ganz gut.
Wie kann man junge Menschen schützen, denen vom Algorithmus rechtsextreme oder verschwörungstheoretische Inhalte vorgeschlagen werden?
Indem man sie aufklärt. Falsch wäre zu sagen: Geht nicht mehr auf die Plattform! Dann machen die das erst recht. Stattdessen sollte man sie aufklären, wie sie seriöse von unseriöser Berichterstattung unterscheiden können. Wie zum Beispiel eine Quellen- und Absenderprüfung funktioniert oder eine Google-Bilder-Rückwärtssuche. Junge Menschen sollten für Sprache sensibilisiert werden, weil man an ihr so viel erkennen kann.
Welche Tipps gibst du Lehrkräften, die ihren Unterricht moderner gestalten wollen?
Sprecht mit euren Schülerinnen und Schülern. Fragt, was ihnen Spaß machen würde, auf welchen Plattformen sie sich bewegen und was man davon adaptieren könnte. Außerdem gibt es Unmengen an Informationsmöglichkeiten. Es gibt Bar-Camps, digitale Veranstaltungen, Gemeinschaften wie das Twitter-Lehrerzimmer. Es ist immer ratsam, Dinge einfach mal auszuprobieren und zu schauen, was dabei rauskommt.
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