weltwärts-Freiwilliger im DJH Resort Neuharlingersiel: Zolani aus Kapstadt
1,60 Meter – nicht gerade die Größe, die ich für einen erfolgreichen Basketballspieler im Kopf hatte. Das DJH Resort in Ostfriesland – nicht gerade ein Ort, der mir für einen Südafrikaner aus dem Township Kapstadts als Arbeitsort in den Sinn kam. „Moin“ – nicht gerade die Begrüßung, die ich in Neuharlingersiel von einem Dunkelhäutigen erwartet habe. All diese Überraschungen haben einen Namen: Zolani Vokwana. Der 26-Jährige ist seit September 2016 im DJH Resort Neuharlingersiel im Einsatz. Ich habe ihn besucht, um zu erfahren, wie es ihn in den Norden Deutschlands verschlagen hat und was er in der Club-Jugendherberge erlebt.
Ein sonnenverwöhnter Mittwochmittag, im Speisesaal der Resorts beenden gerade die letzten Gäste ihr Mittagessen. Ich laufe in den Kiosk und frage, wo ich Zolani finden kann. „Der muss hier irgendwo rumschwirren“, antwortet mir ein Mitarbeiter. Und fügt augenzwinkernd hinzu:„Du kannst ihn nicht übersehen: klein, schwarz, mit Glatze.“ Genauso kommt mir Zolani dann auch entgegen.
Außerdem: Breites Lachen im Gesicht. Sportlicher Gang. High five mit einem FÖJler, der an ihm vorbei geht. Wir begrüßen uns herzlich-fröhlich auf Englisch und einigen uns, so auch weiterzusprechen. „Ich habe zwar zwei Tage in der Woche Deutschunterricht, verstehe inzwischen auch einiges, aber Deutsch zu sprechen fällt mir noch schwer“, entschuldigt sich Zolani. „Am Anfang, als ich noch gar kein Deutsch konnte, habe ich daher vor allem im Kinnerhus gearbeitet.“ Das Kinnerhus ist eine der vielen Räumlichkeiten für Kinder und Jugendliche, die im DJH Resort zu Gast sind. Hier wird bunt gebastelt und begeistert durch Bilderbücher geblättert – stets in Begleitung und angeleitet von DJH-MitarbeiterInnen. „Mit den ganz Kleinen verstand ich mich auch ohne große Worte“, erinnert sich Zolani an seine ersten Wochen. „Zeichensprache funktionierte mit ihnen hervorragend.“
“Ich liebe Teamwork”
Ähnlich improvisiert und kreativ verliefen zu Beginn auch seine Unterhaltungen mit Marion Ammermann, die im DJH Resort den Animations-Bereich leitet und die wir auf dem Weg nach draußen treffen. Marion ist zudem Zolanis zentrale Ansprechpartnerin im Resort. „Ik snack platt, Englisch aber nur ganz wenig“, berichtet sie mir. „Das war schon etwas schwierig am Anfang, aber irgendwie haben wir uns dennoch immer verständigen können.“ Als Bezugsperson kümmert sich Marion nicht nur um Zolanis konkrete Aufgaben im Resort, sondern wickelte mit ihm auch viele Formalitäten ab. „Konto eröffnen, Deutschkurse buchen, solche Dinge.“ Inzwischen, ein gutes Dreivierteljahr nach seiner Ankunft in Neuharlingersiel, klappt es bei Zolani schon deutlich besser mit der deutschen Sprache und er ist nicht mehr nur im Kinnerhus, sondern auch in vielen anderen Animations- und Programmbereichen im Einsatz: beim Bogenschießen, Kanufahren, Stockbrot vorbereiten und Ähnlichem. „Am liebsten unterstütze ich aber beim Floßbau, denn das ist eine absolute Teamwork-Aktion. Und ich liebe Teamwork.“
Vor dem Teehus Kluntje setzen Zolani und ich uns in die pralle Sonne. Zolani wird von einem Strandkorb, der hinter ihm steht, umrahmt. Ein Südafrikaner in Ostfriesland – ein ungewohntes Bild. Doch wie kam es überhaupt dazu? „Dazu muss ich etwas ausholen und erst einmal erzählen, was ich in den letzten Jahren in meinem Township gemacht habe“, antwortet mir der 26-Jährige. „Oh ja, sehr gerne! Unbedingt“ entgegne ich. Und dann erzählt Zolani seine spannende und beeindruckende Geschichte.
Zolani und seine Familie leben in Gugulethu, einem Township von Kapstadt. Ungewollte Schwangerschaften, HIV, Kriminalität, Sucht, Armut, Gewalt – das alles sind Themen, mit denen Kinder und Jugendliche dort täglich konfrontiert sind. In den meisten Fällen unaufgeklärt, ohne alternative Vorstellungen, ohne Vorbilder, die ihnen zeigen, wie man aus diesem Teufelskreis entkommen kann. Zolani ist ein Township-Bewohner, der dagegen etwas tut.
Schon von Kindesbeinen an war er begeisterter Gruppenmensch. „Meine Familie ging mit mir oft in die Kirche, ich liebte es, zu singen. Über den Gesang kam es zu meinen ersten Gemeinschaftserlebnisse und dabei fühlte ich mich immer unglaublich wohl.“ In einer Gruppe aktiv sein, am liebsten künstlerisch oder sportlich, das wurde seine Leidenschaft. Ebenso leidenschaftlich brachte er sich auf der Straße bei, Basketball zu spielen. Seine Lehrmeister: Youtube-Videos. Seine Superkraft: Sich niemals von Schwierigkeiten oder Ängsten beirren lassen. Dass zwischen ihm und der offiziellen Höhe eines Basketballkorbes noch 1,45 Meter liegen – so what? „Im Sport ist es nicht anders als im echten Leben: It´s all in your mind, and you always have to fight”!“
Körbe werfen für eine bessere Zukunft
Sein Basketballtalent führte ihn schließlich zu „Hoops of Hope“, einem „after school program“, in dem Jugendliche über die Erfahrung im Sport Lebenskompetenz erlangen. Dort war er sechs Jahre lang Mitglied, am Ende sogar als Gruppenleiter. In dieser Funktion tat er alles dafür, den Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass man im Leben immer eine Wahl hat. „Kids im Township sehen teure Kleidung, die sie sich nicht leisten können, und glauben, dass Kriminalität der einzige Weg ist, sie zu bekommen. Es ist wichtig, andere Werte zu vermitteln“, beschreibt Zolani beispielshaft die Absichten von Organisationen wie Hoops of Hope. Er ist sich nicht sicher, ob er ohne Hoop of Hopes nicht auch eine kriminelle Karriere begonnen hätte – umso mehr liegt es ihm am Herzen, auch anderen Jugendlichen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Mit dem Ausscheiden des Geschäftsführers brach Hoops of Hope 2015 zusammen und Zolani sah mit Schrecken, welche Lücke dies im Alltag der TeilnehmerInnen bedeutete – er gründete kurzerhand seine eigene Organisation: „United We Stand Community Organization“. Mit ihr knüpft er an seine lange Erfahrung bei Hoops of Hope an – ehrenamtlich. Um von etwas leben zu können, jobbt er bei Handyanbietern oder Fast Food-Ketten. Ein zentrales Merkmal seiner Organisation ist der integrative Ansatz. Kinder und Jugendliche mit Handicap werden ebenfalls in den Sport- und Kunstkursen gefördert. „Es gibt beispielsweise diesen behinderten Jungen namens Lirthemba“, berichtet mir Zolani. „Er war immer Außenseiter, hatte kein Selbstbewusstsein. Wir haben ihm in einer unserer Tanzperformance eine Rolle gegeben und Du glaubst nicht, was innerhalb eines halben Jahres passiert ist: aus dem Jungen, der immer mit gesenktem Kopf in der Ecke saß, ist ein selbstbewusster Kerl geworden, der mit erhobenem Kopf unterwegs ist und den andere nun richtig cool finden.“
Über seinen Cousin wird Zolani auf South African German Network, kurz SAGE, aufmerksam. SAGE macht sich als gemeinnütziger Verein für den Austausch zwischen Südafrika und Deutschland stark und bietet eine Plattform für unterschiedliche Kooperationen und dauerhafte Partnerschaften. Eines der Projekte von SAGE ist der weltwärts-Freiwilligendienst, über den Deutsche zwischen 18 und 28 Jahre nach Südafrika gehen und dort zunächst in Entwicklungsprojekten arbeiten. Zolani ist der erste, der zeigt, dass es auch andersherum geht: Zusammen mit transfer e.V. und auf Vorschlag des DJH ermöglichte es SAGE, dass ein Südafrikaner nach Deutschland kommt.
Ubomi: Die Verbindung des DJH zum weltwärts-Freiwilligendienst
Die Vorgeschichte zu dieser Neuerung ist wie in so vielen gewinnbringenden Entwicklungen eine sehr persönliche: Biggi Hägemann, Mitarbeiterin im DJH-Landesverband Unterweser-Ems, hat ein großes Herz für die Ärmsten in Kapstadt. Auch sie tut etwas dafür, dass sich der Alltag in den Townships nachhaltig verbessert. Zusammen mit Kholeka Matiwane und Thomas Meisterknecht, die beide in Kapstadt leben, hat sie 2016 Ubomi gegründet. Ein Projekt, das Kindern tagsüber eine sichere Unterkunft, Essen und Betreuung bietet. Biggi und Thomas gehören außerdem zum Vorstand von transfer.e.V. Last, but not least ist Thomas lokaler Betreuer der SAGE-Freiwilligen in Kapstadt – und hier schließt sich der Kreis.
Biggi und Thomas hatten vergangenes Jahr die Idee, den weltwärts-Freiwilligendienst auch in die Gegenrichtung zu realisieren. Biggi berichtete in ihrem Landesverband davon und stieß nicht nur auf offene Ohren, sondern auch auf einen entscheidungsfreudigen Chef und zugewandte Kollegen. Ihnen allen war schnell klar, wie wertvoll diese Kooperation sein würde. „Internationalität ist ein wichtiges Merkmal der Jugendherbergen “, so Biggi. „Es bereichert den Herbergsalltag ungemein, wenn Menschen aus unterschiedlichen Ländern ins Gespräch kommen. Wenn Zolani beispielsweise am Rande eines Basketballspiel einer Schulklasse ungezwungen über das tatsächliche Leben in Südafrika erzählt, dann bewirkt das in den Köpfen sehr viel.“ Aus diesem Grund hat der DJH keine Hindernisse gescheut und den Weg frei gemacht für Zolanis Aufenthalt in Neuharlingersiel. Ab Herbst 2017 wird die Kooperation zwischen SAGE und dem DJH sogar noch erweitert. Dann werden vier Südafrikaner einen Platz als weltwärts-Freiwilligendienst bekommen: zwei im DJH Resort Neuharlingersiel, zwei in der Jugendherberge Bremen.
“Ich möchte den Kids etwas mitbringen.”
Eine Frage an Zolani brennt mir natürlich unter den Nägeln: Warum hat er sich für den weltwärts-Freiwilligendienst entschieden? Wo er doch im Township so gebraucht wird? Zolani erklärt es mir: „Ich muss dazulernen. Mich austauschen mit anderen Organisationen. Ich will, dass mein Projekt eine Zukunft hat, dazu gehört natürlich auch, dass wir über Geld verfügen. In Südafrika lässt keine große Organisation kleine an ihrem Wissen teilhaben. Sie helfen neuen Projekten nicht beim Wachsen. Ich bin nach Deutschland gekommen, um neue Kontakte zu knüpfen, die meiner Organisation nachhaltig nützen können.“
Sein größter Wunsch: „Seinen“ Kindern und Jugendlichen etwas nach Hause mitbringen – abstrakt, aber auch ganz konkret. „Vor Kurzem haben wir hier im Resort alte Musikinstrumente entsorgt. Ein Instrument habe ich behalten, um es zu reparieren. Als ich es in der WhatsApp-Gruppe gezeigt habe, die ich für mich und die Kinder meiner Organisation eingerichtet habe, war die Begeisterung und Neugierde riesig. Am liebsten hätten sie es sofort in den Händen gehalten. Diese Kinder bekommen in der Regel kein Weihnachtsgeschenk – kannst Du Dir vorstellen, wie sie sich freuen, wenn ich ihnen ein Spielzeug, ein Sportgerät, Kleidung oder ein Instrument mitbringe?“
Zolani und ich gehen in Richtung des Resort-Bootsanlegers, wo mehrere Gruppen dabei sind, Flösse zu bauen. Das hat Magnetwirkung. „Hi guys!“ Der Südafrikaner kann nicht anders, als mitanzupacken. Die Schülerinnen und Schüler zu motivieren und mit seiner Begeisterung für den exakten Knoten anzustecken. Im Nu nimmt das Floß Form an. Mit der Vorarbeit lässt er die Gruppe dann aber alleine. „Oh nein, Mist, jetzt geht er weg“, höre ich ein Mädchen beim Weggehen verzweifelt ihrer Mitschülerin zuraunen. Als wir weiter zum Wasser laufen, zeigt Zolani nahezu unbemerkt auf ein Teenager-Mädchen mit rundem kindlichen Gesicht und blassen Wangen. „Siehst Du das Mädchen da drüben?“ fragt er mich. Ich nicke und schaue verstohlen zu ihr herüber. „Gestern habe ich mit ihr und einigen anderen ein Floß gebaut. Als wir es zu Wasser gelassen haben, wollte sie partout nicht versuchen, mit aufs Floß zu kommen. Sie hatte riesige Angst. Das sind Situationen, in denen ich unbedingt helfen möchte. Für mich macht es keinen Sinn, Angst vor etwas zu haben, was man noch nie gemacht hat. Und genau deshalb habe ich lange und immer wieder mit dem Mädchen gesprochen. Es motiviert. Ihm die Hand gereicht. Bin vor ihr aufs Floß, obwohl ich normalerweise gar nicht mitfahre. Am Ende war auch sie auf dem Floß. Solche Erfolgserlebnisse sind wichtig. Das Leben ist immer eine Herausforderung, eine Challenge. Man muss sich durchkämpfen. Bei uns in den Townships kämpfen wir ums Überleben, das ist hier natürlich nicht so. Aber es gibt andere Herausforderung, die Menschen in Deutschland bewältigen müssen.“
À propos Unterschiede: Ob es etwas gäbe, das ihm in Deutschland besonders aufgefallen sei, frage ich Zolani zum Abschluss unseres Treffens. „Ja, die Liebe in den Familien. In Deutschland halten alte Ehepaare auf offener Straße Händchen miteinander. Eltern setzen sich zu ihren Kindern auf den Boden, um mit ihnen zu spielen. Das sind Bilder, die ich von zuhause nicht kenne und die mich sehr berührt haben. Ich möchte so etwas auch bei uns. Ich möchte mehr Liebe auf den Straßen im Township.“
Zolani bleibt noch bis zum 1. September im DJH Resort und freut sich immer über Gespräche mit Gästen. Fragt ihn gern über Südafrika aus oder spielt einfach Basketball mit ihm. Informationen zu seinem Projekt findet Ihr bei Facebook. Falls Ihr mit dem weltwärts-Freiwilligendienst ein Jahr lang nach Südafrika möchtet, schaut auf der offiziellen Website vorbei.
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