„Man kann sich der Klasse neu zeigen“

Drohnenaufnahme der Jugendherberge Bad Honnef.

Wie Jugendherbergen das Gemeinschaftsgefühl und die Sozialkompetenzen von Schüler*innen stärken, davon ­berichtet Ulrich Koj, Geschäftsführer von Skills4Life, einem Kooperationspartner des DJH-Landesverbandes Rheinland.

Was macht die Jugendherbergen als Lern- und Erlebnisorte besonders wertvoll für Klassenfahrten?

Ulrich: Wir agieren abseits der Schule, organisieren eine Freizeit-Aktion. Da ist das Sozialverhalten oft authentischer als in der Schule. Wir haben Gruppenräume, wo wir witterungsunabhängig zusammenarbeiten können. Oder wir können in Außenbereiche ausweichen und die Umgebung, die Natur einbinden. Sie kann sehr beruhigend wirken.

Also können die Programme den regulären Schulunterricht ­ergänzen?

Ulrich: Schüler*innen nehmen viele positive Impulse mit, die sie im Idealfall in der Schule wieder aufnehmen. Die Lehrkräfte können diese Impulse im Unterricht reaktivieren. Die Rückmeldungen nach einer Klassenfahrt beziehungsweise einem Programm sind uns auch sehr wichtig. Kritik, ob positive oder negative, fließt in die Programme ein.

Ein Portraitfoto von Ulrich Koj
Ulrich Koj

Was möchte das DJH mit seinen Programmen für Klassenfahrten im Hinblick auf soziale Kompetenzen bewirken?

Ulrich: Klassenfahrten bieten einen Raum, in dem sich Schüler*innen anders als im starren Unterrichtsalltag begegnen. Sie bieten viele Möglichkeiten für Interaktion. Ich glaube, die wird zunehmend wichtiger. Die Zeit, die Kinder miteinander verbringen und gucken, was sie miteinander anfangen können, nimmt ab. Früher nannte man das „zusammen abhängen“, ohne dass ich die Vergangenheit glorifizieren will. Klassenfahrten schaffen Gemeinschaft. Wie reagieren die anderen auf mich? Wie einigen wir uns bei einem Konflikt? Ich beobachte, dass es manchen schwerfällt, auf solche Fragen zu antworten. Hier können die DJH-Programme unterstützen.

Sind sie geeignet, Kinder und Jugendliche generell in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken?

Ulrich: Ja. Es geht viel um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Man lernt seine Stärken kennen, kann sich der Klasse neu zeigen. Selbst wenn ich vielleicht in der Schule nicht der Allerstärkste bin, kann ich in einem anderen Kontext Stärke beweisen. Lehrkräfte melden uns oft zurück, dass sie ein anderes Bild von all den coolen Jungs und Mädels ihrer Klasse bekommen haben. In den Programmen geht es auch um Frustrationstoleranz. Ich beobachte, dass Kinder heute schneller die Geduld und Lust an Aktionen verlieren als früher. Das kann man üben. Auch, dass man sich außerhalb seiner Komfortzone bewegen kann. Die Lehrkräfte treten in den Hintergrund. Wir tauschen uns aber vorher und in den Pausen eines Programms aus. Es ist spannend, unsere Perspektiven nebeneinanderzulegen und zu gucken: Wo sind wir angekommen?

Wie gehen Kinder sichtbar gestärkt aus einem Programm hervor?

Ulrich: Nicht selten entpuppt sich das, was für Schülerinnen vorher ein großes Problem war, während des Programms als Nichtigkeit. Weil wir uns Zeit nehmen und das Problem genau angucken. Am Ende ist es durchaus nicht immer so, dass die Schülerinnen die Lösung toll finden. Aber auch wenn sie etwas nicht gut finden, so können sie es dann zumindest besser annehmen. Auch das ist eine Leistung. Diese Anstrengung nehmen wir positiv wahr. Dynamiken verändern sich.

Heller Aufenthaltsraum mit großen Fenstern, mehreren runden Tischen und orangefarbenen Stühlen, mit Blick ins Grüne.
Aufenthaltsraum der Jugendherberge Bad Honnef

Welche neuen Herausforderungen beobachtest du aktuell bei Klassenfahrten?

Ulrich: Ich komme langsam in ein Alter, in dem man vorschnell sagt: Früher war alles besser. Aber in Klassenkonstellationen gibt es eben auch mal Probleme – früher wie heute. Ich habe nur das Gefühl, dass die Schüler*innen heute schneller müde werden und leichter gelangweilt sind. Auch verlieren sie eher die Beherrschung als früher. Ich glaube, dass die Coronazeit einschneidend war, weil wenig Interaktion unter den Kindern und Jugendlichen stattfand. Betroffenen fehlt einfach ein bisschen die Übung für ein natürliches Miteinander. Außerdem nehmen die sozialen Medien viel Raum ein. Die „Gespräche“ dort sind anders als die, die man face-to-face führt. In den sozialen Medien geht es häufig nur darum, Recht zu haben, auch manchmal durch einen aggressiven Ton eine Diskussion abzukürzen. Wenn wir mit unserem Programm eine sachliche, argumentative Diskussion schaffen können, ist das toll.

Warum ist es sinnvoll, Konflikte und Gewaltprävention im Rahmen einer Klassenfahrt anzugehen?

Ulrich: Es geht in unseren Programmen darum, verschiedene Meinungen zuzulassen. Wir entspannen damit einen Konflikt. Wir klären, dass der Anspruch, dass immer alles gerecht sein muss, nur scheitern kann. Wir geben Unterstützung und motivieren die Schüler*innen, eine gelungene Interaktion weiterzuführen. Wir arbeiten nur über die Beziehungsebene, nie mit Sanktionen.

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