„Alle sollen mit!“ – Wie inklusive Klassenfahrten gelingen können

Kinder eine Klasse laufen auf einem überdachten Weg.

Ein Gespräch mit Adina Hermann von den Sozialheld*innen

Wie gelingt eine Klassenfahrt, bei der wirklich alle dabei sein können – unabhängig von körperlichen Einschränkungen oder chronischen Erkrankungen? Adina Hermann, Vorständin bei den Sozialheld*innen und selbst Rollstuhlnutzerin, spricht im Interview über ihre eigenen Erfahrungen, strukturelle Hürden – und darüber, was Lehrkräfte tun können, um inklusive Klassenfahrten möglich zu machen.

Ein Portraitfoto von Adina
Adina Hermann / Foto: Andi Weiland

„Ich wollte nicht mehr hochgetragen werden“ – Adina Hermann über inklusive Klassenfahrten

Mathis: Adina, nimm uns doch bitte mal mit in deine eigene Schulzeit. Welche Erfahrungen hast du damals als Schülerin im Rollstuhl mit Klassenfahrten gemacht? Gab es schöne – aber vielleicht auch schwierige Erlebnisse?

Adina: Ja, die waren ziemlich gemischt. Ich war in meinen Schulen oft die erste Person im Rollstuhl – entsprechend wenig Erfahrung hatten die Lehrkräfte. Klar, sie wollten Klassenfahrten irgendwie barrierefrei gestalten, aber es fehlte an Informationen. Ich erinnere mich an eine Fahrt nach Italien: tolle Gemeinschaft, viele schöne Erinnerungen – aber die Unterkunft war alles andere als barrierefrei. Obwohl meine Lehrerin im Vorfeld nach einem Aufzug gefragt hatte, standen wir nach 24 Stunden Busfahrt vor einer riesigen Freitreppe. Der Aufzug war im Inneren – aber eben nicht erreichbar. Meine Mitschüler*innen haben mich jedes Mal die Treppe hoch- und runtergetragen. Aus heutiger Sicht ein Unding – auch was Versicherung und Sicherheit betrifft.

Mathis: Das klingt nach viel Improvisation – aber auch nach einer Einschränkung deiner Selbstbestimmung, oder?

Adina: Absolut. Ich konnte nichts spontan entscheiden, war immer auf Hilfe angewiesen. Und es gab auch eine Skifreizeit, bei der ich gar nicht mitgefahren bin – weil für mich schlicht kein sinnvolles Angebot vorgesehen war. Ich hätte den ganzen Tag allein auf der Hütte gesessen. Also habe ich selbst entschieden, nicht mitzukommen. Aber eigentlich hätte es auch anders laufen können.

Mathis: Was hätte man denn anders machen können?

Adina: Entscheidend ist: Informationen bereitstellen. Was gibt es vor Ort? Welche Aktivitäten sind möglich? Und gibt es Alternativen, wenn jemand etwas nicht mitmachen kann? Nur so kann man eine informierte Entscheidung treffen – gerade, weil Behinderungen individuell sehr unterschiedlich sind. Ich zum Beispiel bin kälteempfindlich durch meine Muskelerkrankung, andere lieben Schnee. Wichtig ist: Optionen anbieten, nicht einfach ausschließen.

Stolpersteine auf dem Weg zu inklusiven Klassenfahrten

Mathis: Heute setzt du dich mit den Sozialheld*innen intensiv für Barrierefreiheit und Inklusion ein. Was sind aus deiner Sicht die größten Stolpersteine bei inklusiven Klassenfahrten?

Adina: Erstaunlich – aber leider hat sich seit meiner Schulzeit gar nicht so viel verändert. Viele Lehrkräfte fühlen sich unsicher oder überfordert, weil Informationen fehlen. Manche geben sich große Mühe – andere blockieren komplett: Aussagen wie „Wir machen diese Fahrt seit 20 Jahren – die ändern wir jetzt nicht wegen eines Kindes mit Behinderung“ höre ich leider immer noch. Das ist diskriminierend – und das darf in einer Schule einfach nicht passieren.

Mathis: Und dann kommen ja noch Zeitdruck, Personalmangel und knappe Budgets dazu…

Adina: Total. Klassenfahrten zu planen ist sowieso aufwändig – aber wenn dann noch individuelle Bedürfnisse dazukommen, wird es schnell komplex. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Anbieter wie Jugendherbergen barrierefreie Informationen transparent und gut auffindbar bereitstellen. Das hilft enorm.

Tipps für Lehrkräfte: So werden inklusive Klassenfahrten möglich

Mathis: Welche konkreten Tipps gibst du Lehrkräften, die inklusive Klassenfahrten planen möchten?

Adina: Erstens: Schafft einen sicheren Raum für offene Gespräche. Viele Schüler*innen – gerade im Teenageralter – trauen sich nicht, über intime Bedürfnisse zu sprechen. Ich selbst habe damals Dinge verschwiegen, weil es mir unangenehm war. Das ging auf Kosten meines Erlebens.
Zweitens:Weg von der Defizitperspektive. Bitte stellt nicht ständig heraus, was „wegen XY“ jetzt nicht geht. Das führt nur dazu, dass Kinder ihre Bedürfnisse noch mehr zurückhalten. Stattdessen: gemeinsam schauen, was möglich ist.
Drittens: Hört genau hin. Jede Behinderung ist anders. Auch im Rollstuhl gibt es große Unterschiede – manche können stehen, andere nicht, manche haben Kraft in den Armen, andere nicht. Nur wer fragt, erfährt, was wirklich gebraucht wird.
Und viertens: Habt keine Angst, Dinge falsch zu machen. Es ist okay, nicht alles zu wissen. Wichtig ist die Offenheit und der Wille, sich einzulassen.

„Inklusion ist mehr als Rampen bauen“

Mathis: Viele denken bei Inklusion zuerst an bauliche Barrieren. Was gehört für dich noch dazu?

Adina: Inklusion beginnt im Kopf. Es geht darum, dass alle selbstverständlich dazugehören – auch bei Ausflügen oder Aktivitäten. Nicht: „Wir können das leider nicht machen, weil…“, sondern: „Wie gestalten wir’s so, dass alle dabei sein können?“ Das muss Normalität werden.
Und ganz wichtig: Kinder mit Behinderung erleben Klassenfahrten oft als erste Reise ohne Eltern. Für mich war das eine große Chance, mich selbstständig zu erleben. Das klappt aber nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen – sonst wird aus der tollen Erfahrung schnell Frust oder Abhängigkeit. Und das will niemand.

Fazit: Inklusion beginnt mit Haltung – und mit guten Fragen

Eine inklusive Klassenfahrt ist kein Selbstläufer – aber sie ist machbar. Was es braucht, ist vor allem eins: eine offene Haltung, ein vertrauensvoller Dialog mit den Schüler*innen – und der Mut, neue Wege zu gehen. Adinas Appell: Nicht alles perfekt machen, aber miteinander reden, gemeinsam Lösungen finden und sensibel auf individuelle Bedürfnisse eingehen. Denn echte Inklusion bedeutet nicht: alle gleich behandeln. Sondern: jede Person so, wie sie es braucht.

Mehr Infos zu barrierefreien Angeboten der Jugendherbergen

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