Interview mit Maurice Kaiser von ParkourOne

Ein Junge mach eine Brücke

Parkour ist kein Sport, sondern Bewegungskunst. Maurice Kaiser entdeckte Anfang 2006 Parkour für sich – und hat seitdem nicht mehr damit aufgehört. „Vor allem hat mich die Athletik und die Kreativität der Bewegungen gepackt“, erinnert er sich an seine Anfänge. Relativ schnell haben sich ihm Freunde angeschlossen und sie begannen, eigene Herausforderungen und Sprünge zu suchen. Die erste Parkour-Community in Hannover entstand: „Die Kraft, voneinander zu lernen und immer neue Bewegungen zu finden, war grandios.“ Der Community-Aspekt ist neben dem eigentlichen Training seitdem seine große Motivation. Bei Parkour fasziniert ihn die Freiheit, sich selbst immer wieder neu erfinden und die eigene Kreativität ausleben zu können. Ganz ohne Leistungsdruck und Bewertung.

Drei Personen unterstützen sich gegenseitig bei einer Parkour-Übung an einer Wand.

Hi Maurice, erzähl mal: Was macht ihr bei ParkourONE?

Hallo zusammen, wir bei ParkourONE Hannover vermitteln Parkour in einem ganzheitlichen und multiperspektivischen Rahmen mit unserem Konzept TRUST (mehr dazu unter der siebten Frage). Wir bieten mehrmals die Woche regelmäßige Trainings in festen Gruppen an sowie Workshops und Projektwochen an Schulen. Unsere Trainings zeigen, dass Parkour mehr ist als nur spektakuläre Sprünge von athletischen Personen in den sozialen Medien. Parkour ist für jede*n zugänglich, unabhängig von Alter oder Fitness.

Schon mal als Kind geklettert und irgendwo runtergesprungen? Ja? Dann hast du schon Parkour gemacht! Als Kind auf Spielplätzen denkt man nicht darüber nach, welche Leistung ich heute erbringen muss, ob es gut aussieht oder ob mein*e beste*r Freund*in sportlicher ist als ich. Maßstab sind der eigene Anspruch und das eigene Körpergefühl. Und beides kann man gut trainieren. Deswegen verstehe ich persönlich Parkour auch nicht als Sport, sondern als Bewegungskunst.

Einigen Leser*innen ist Parkour vielleicht noch kein Begriff. Kannst du etwas über die Sportart und ihren Ursprung berichten?

Parkour ist Ende der 80er, Anfang der 90er in den Vororten von Paris entstanden. Eine Gruppe von Jugendlichen trainierte mit dem Ziel, körperlich und mental stärker zu werden. Sie wurden stark inspiriert von Jacky Chan, Dragonball, aber auch den Erzählungen von z. B. David Belles Vater Raymond Belle, der als Kindersoldat im Vietnam eingesetzt wurde und dort die Methode Naturell trainierte. Vor allem in den Städten Lisses und Evry trainierte die Gruppe in alle möglichen Richtungen: Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und das Überwinden von Hindernissen. Immer mit dem Fokus, mentale Barrieren wie Ängste zu überwinden und ihre Komfortzone zu verlassen.

Welche Fähigkeiten werden beim Parkour trainiert?

Es geht um die pure Lust, sich zu bewegen und sich und sein Körpergefühl zu entdecken. Freude an der Bewegung und die innere Haltung sind dabei der Schlüssel. Ziele unserer Trainings sind die Potentialentfaltung, Werthaltung und Gesundheitsförderung jeder Person, die teilnimmt. Seine Potenziale zu entfalten und sich weiterzuentwickeln, sind Grundbedürfnisse eines jedes Menschen. Der Schlüssel dazu ist, die eigene Komfortzone zu verlassen und neue Dinge zu erleben. Natürlich beim Parkour ganz offensichtlich auf der körperlichen Ebene. Doch genauso viel auf weiteren Ebenen wie z. B. auf der emotionalen oder sozialen Ebene: Kann ich meine Grenzen akzeptieren und welche Strategien gibt es, diese zu überwinden? Wie kann ich positiv damit umgehen, wenn meine Trainingspartner*innen mehr oder weniger schaffen als ich? Wie kann ich Freude empfinden, obwohl ich etwas nicht kann? Parkour ist zudem stark werteorientiert. Unser Leitspruch, der von Anfang an eine große Rolle gespielt hat, ist: „Sei stark, um nützlich zu sein“.

Wenn du von Werthaltung sprichst: Welche Werte sind euch im Parkour-Training besonders wichtig?

Unsere Werte basieren auf der ganz praktischen Erfahrung, die im Training gesammelt wird: Parkour ist für uns kein Wettkampfsport, sondern ein gemeinsames Lernen und ein Weg, sich gegenseitig zu unterstützen. Ich habe nichts davon, meine Trainingspartner*in auszustechen. Viel lieber arbeiten wir gemeinsam an Herausforderungen, jede*r auf seinem oder ihrem Level. Ein respektvoller Umgang mit sich selbst, anderen und der Umgebung sind zentrale Punkte. Ganz praktisch gesehen kann ich mich nicht wohlfühlen, wenn mein Körper sich nicht gut anfühlt, oder sogar verletzt ist. Und ein respektloser Umgang der Umwelt und anderen gegenüber führt zu Ablehnung. Weitere Werte für uns sind: zielgerichtet sein, Vertrauen, Bescheidenheit, Mut und Dankbarkeit.

Und die Gesundheitsförderung? Wie genau sieht die im Training aus?

Die Idee der Gesundheitsförderung ist bei uns eng mit den Werten und der Potentialentfaltung verbunden: „Être et durer.“ Bedeutet: „Sein und fortbestehen“.

Kinder balancieren konzentriert auf schmalen Geländern und üben ihre Parkour-Fähigkeiten.

Dafür brauchen wir nicht nur einen gesunden Körper, sondern auch ein positives Umfeld, müssen uns mit unseren Emotionen auseinandersetzen und Klarheit über uns und die Umwelt erlangen. Das sind wieder die sozialen, emotionalen, sensorischen, körperlichen und kognitiven Ebenen.

Welche Voraussetzungen sollten Kinder und Teenager mitbringen, um Parkour zu machen?

Grundvoraussetzungen sind nicht nötig. Egal auf welchem Trainingsstand jemand ist. Das Training ist dafür da, an Schwächen zu arbeiten und Stärken weiter auszubauen. Das umfasst alle Aspekte von körperlicher Fitness wie Kraft, Ausdauer oder auch Koordination bei den Parkour-Techniken. Eine gute Balance aus Risiko und Sicherheit ist ein wichtiger Aspekt, der immer weiter ausbalanciert werden muss.

Ansonsten versuchen wir von Grund auf die Methodik zu vermitteln, wie jede Person möglichst selbstständig trainieren kann. Basierend auf den letzten 20 Jahren Erfahrung in der Vermittlung von Parkour und zertifizierten Parkour-Ausbildungen lernen die Kinder und Jugendlichen immer mehr Selbstverantwortung für ihre Sicherheit, ihren Trainingsfortschritt und ihre Ziele zu übernehmen.

Wie kam die Zusammenarbeit mit der Jugendherberge Hannover zustande?

Wir haben per Nachfrage unser Trainingskonzept vorgestellt. Mit den Zielen, die wir mit unseren Trainings erreichen wollen. Schnell haben wir gemeinsam erkannt, dass wir ähnliche Ziele verfolgen wie die Jugendherbergen. Nämlich Menschen zu erreichen und Grenzen zu überwinden. Wir haben uns ganz klar für die Kooperation entschieden, da hier die Menschen im Vordergrund stehen und schöne Erlebnisse ermöglicht werden. Wir sehen mit Parkour die Chance, neue einzigartige Erlebnisse zu formen und Orte und Einstellungen neu zu erfinden.

Welche Workshops bietet ihr in der Jugendherberge Hannover an? Was erwartet die Schüler*innen, die mitmachen?

Wir sehen eine gute Chance, Kindern und Jugendlichen einen interessanten Einblick in eine vielschichtige Bewegungskunst zu geben. Inhaltlich geht es von individuellen Herausforderungen mit Fokus auf Angstüberwindung und Bewegungslernen, über Spiele und Techniktraining bis hin zu Gruppenaufgaben, die den Klassenzusammenhalt zu fördern. Es können sowohl eher unmotivierte Schüler*innen als auch Personen mit viel Sporterfahrung Spaß und Herausforderungen bei diesen Workshops finden. Dabei schaffen wir in jedem Part einen Bezug zu unseren Werten. Für eine positive Einstellung zu der eigenen Leistung sowie den Erwartungen an sich selbst und die Gruppe. Insgesamt wollen wir vermitteln, dass Spaß und Herausforderung abhängig voneinander sind und beides für effektives Lernen benötigt wird. Themenschwerpunkte für die jeweilige Klasse können dabei auch individuell abgesprochen werden, wie z. B. Umgang mit Leistungsdruck, Klassenzusammenhalt, Bewegungsfreude oder Gewaltprävention.

Welche Lernmethoden oder pädagogischen Konzepte kommen bei euch zum Einsatz?

Wir vermitteln Parkour nach TRUST. Der Begriff TRUST steht für „Training und Standards“ und versteht sich als Bildungsinstrument für Parkour der ParkourONE Academy. Es hat viele Parallelen zur Erlebnispädagogik, da das Erlebnis, die Reflexion und das Sammeln von Erkenntnissen im Vordergrund stehen. Der multidimensionale Aspekt von TRUST ist unter anderem von der Montessori-Pädagogik inspiriert – mit Kopf, Herz und Hand. Der Mensch ist ein ganzheitliches Wesen und kann ganzheitlich nicht nur besser, sondern auch nachhaltiger lernen.

Wie vermittelt ihr Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für die Bedeutung von Bewegung und Sport?

Jeder Mensch hat einen Drang zur Bewegung. Dieser wird aber häufig früh durch Leistungsdruck und den Vergleich zu anderen unterbrochen. Für uns ist es besonders wichtig, Parkour als Miteinander und nicht als Gegeneinander auszuleben. Auch zu hohe oder niedrige Erwartungen an die eigene Leistung können schnell zu Druck oder Langeweile führen.

Ein Junge balanciert konzentriert auf einer Metallstange, während ein Trainer ihm zur Seite steht.

In unseren Trainings legen wir großen Wert auf eine positive Art von Wettkampf, die unser Umfeld zwar als Motivation sieht, Neues zu probieren, allerdings nicht als Maßstab für die eigenen Fähigkeiten. Der Fokus liegt auf dem Prozess, neue Techniken und Sprünge zu lernen. Darum macht es auch keinen Unterschied, ob die Person gerade ihr erstes Training hat oder schon 15 Jahre trainiert. Der Prozess, sich individuelle Herausforderungen zu suchen und Lösungen für Probleme zu finden, ist in beiden Fällen derselbe. Ganz praktisch gesehen versuchen wir, eine gute Mischung aus Spielen, Techniktraining und Herausforderungen zu finden, sodass jede Person Spaß und Fortschritt erfährt.

Welche Herausforderungen und Chancen siehst du bei der Arbeit mit Kindern und Teenagern in einem urbanen Umfeld?

Ein spannender Aspekt beim Parkour ist es, die Umgebung auf neue Art und Weise kennenzulernen. Man entwickelt den so genannten „Parkour-Blick“! An jeder Mauer und Stange findet man plötzlich Möglichkeiten, sich zu bewegen. Das belebt einerseits die Umwelt und bringt gleichzeitig ein positives Gefühl gegenüber selbst grauen und urbanen Gegenden. Man definiert den urbanen Raum neu. Mit der Zeit entwickelt sich eine Motivation, draußen zu sein und zu trainieren, was dem hohen Medienkonsum entgegenwirkt. „Rumhängen“ ist dann keine Option mehr, da man so viele neue Möglichkeiten kennt sich zu beschäftigen.

Gibt es besondere Erfahrungen, die deine Arbeit mit Kindern beeinflusst haben?

Bei Kindern und Jugendlichen kann beobachtet werden, dass mit zunehmendem Alter die Freude an der Bewegung abnimmt. Bei meiner langjährigen Arbeit als Erzieher in Kindergärten und Horten habe ich mir deshalb die Frage gestellt: Was hemmt die Bewegungsfreude und was fördert sie? Tatsächlich waren es meistens bewertende oder wettkampforientierte Situationen, welche die Freude an der eigenen Bewegung gesenkt haben. Freude wurde meist gesteigert in Settings, in denen die Kinder ohne Vergleiche und Leistungsdruck ihrer eigenen intrinsischen Bewegungsmotivation nachgehen konnten. Doch viele gab es davon nicht. Da habe ich erkannt, dass ich durch Parkour genau solch ein Setting schaffen kann, ohne Leistungsdruck und Bewertung.

Eignet sich Parkour auch für den Sportunterricht in der Schule oder als private Freizeitbeschäftigung für Schüler*innen?

Parkour eignet sich im Sportunterricht gut als Alternative zu anderen Individualsportarten wie Turnen. Das Buch von Burnermotion „Burner Parkour“, geschrieben von Roger Widmer, beinhaltet viele Übungen und Methoden, die den Fokus vor allem auf den ganzheitlichen Ansatz von Parkour legen. Die Bewertung sollte hierbei immer auf den Fortschritt und Offenheit zum Lernen gelegt werden und weniger auf die „korrekte“ Ausführung von Techniken. Der Hauptgrund dafür ist, dass Parkour im Kerngedanken keine Techniken hat, auch wenn sich natürlich bestimmte Bewegungen als nützlich etabliert haben. Die Bewegungen sollten immer individuell zwischen der Aufgabe (z. B. ich will von A nach B kommen, ohne den Boden zu berühren) und der Umgebung (z. B. drei Kästen/Mauern im Abstand von jeweils ein bis zwei Metern) erarbeitet werden. Verschiedene Personenwerden unterschiedliche Lösungsstrategien für den Absprung und die Landung finden, weswegen ein standardisiertes „so wird richtig gelandet“ nicht immer Sinn macht.

Welche Dos and Don’ts sollten beachtet werden?

Da beim Parkour mehr als nur die körperliche Ebene angesprochen wird, ist es meist ratsam selber Parkour-Erfahrung zu haben um dieses auch umfänglich vermitteln und das Verletzungsrisiko stark vermindern zu können oder mit Personen zusammenzuarbeiten die diese Expertise haben. Außerdem ist es wichtig den Großteil des Trainings draußen stattfinden zu lassen.  Mauern lassen sich im Gegensatz zu Kästen nicht verschieben und geben eine andere Art von Auseinandersetzung mit der Umgebung, bei der die Trainierenden sich an die Umgebung anpassen müssen – und nicht umgekehrt. Zusätzlich kommt eine natürliche Vorsicht hinzu, da intuitiv verstanden wird, dass Schienbeine und Knie sich nicht gut mit harten Oberflächen vertragen. Nach einer Studie von Parkour Generations sinkt die Verletzungshäufigkeit bei Trainings draußen im Verhältnis zu Trainings in Hallen mit Matten. Und dies ist auch das Schöne an Parkour: Das Gefühl, sportlich zu sein, die Anschaffung teurer Trainingsgeräte und die Wahl des Trainingsortes sind nicht entscheidend. Entscheidend sind meine Kreativität und meine Freude an der Bewegung, die bestimmen, ob ich Parkour ausübe oder nicht.

Ein Mädchen springt mutig von einem Pfosten zum anderen, während ein Trainer bereit ist, sie zu fangen.

Wenn ihr Interesse an ParkourOne habt, besucht jetzt die Webseite Parkour in Hannover – Buche jetzt dein erstes Training! (parkourone.com). Dort findet ihr weitere Informationen und Trainingsmöglichkeiten in Hannover.

Du musst angemeldet sein, um Kommentare sehen und verfassen zu können

Ähnliche Beiträge