„Räume schaffen, in denen junge Menschen sich selbst begegnen“

Ein Gespräch mit Iyabo Kaczmarek von Unter einem Dach – über Kreativität, Teilhabe und Persönlichkeitsentwicklung
Wie entsteht ein Ort, an dem Integration gelebt, Kreativität gefördert und junge Menschen auf Augenhöhe beteiligt werden? Iyabo Kaczmarek ist Mitgründerin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Unter einem Dach in Hannover. Gemeinsam mit ihrem Team entwickelt sie Formate, die junge Menschen stark machen – durch Beteiligung, kreative Werkstätten, kulturellen Austausch und gezielte Förderung der Persönlichkeitsentwicklung.
Im Interview spricht sie über die Entstehungsidee von Unter einem Dach, über Muträume, persönliche Potenziale – und darüber, wie kreative Bildungsangebote zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen können. Auch die Zusammenarbeit mit der Jugendherberge Hannover spielt dabei eine zentrale Rolle.
Vom Kulturprojekt zur Bildungsplattform – die Geschichte von Unter einem Dach
Mathis: Iyabo, wie ist die Idee zu Unter einem Dach eigentlich entstanden? Gab es einen Schlüsselmoment?
Iyabo: Die Idee entstand 2014, als Alexandra Faruga und ich – beide mit Wurzeln im Theater – überlegt haben, wie wir auf die gesellschaftlichen Veränderungen durch Flucht und Migration reagieren können. Damals war unsere Grundidee, interkulturelle Kunst- und Kulturprojekte mit Menschen zu gestalten, die gerade neu in Hannover ankamen. 2015 war dann ein Schlüsseljahr: Viele Menschen flohen nach Deutschland, und wir wollten einen Beitrag leisten – nicht mit pädagogischem Zeigefinger, sondern durch echtes Miteinander.

Iyabo Kaczmarek
In einer Notunterkunft im Oststadtkrankenhaus haben wir Workshops organisiert, Gemeinschaftsräume umgestaltet, gemeinsam gekocht und gefeiert. Dabei war sofort klar: Es geht weniger ums Reden – es geht ums Tun. So haben wir Begegnungsräume geschaffen, in denen Vertrauen wachsen konnte. Als die Rückmeldung kam: „Könnt ihr uns helfen, in Ausbildung oder Arbeit zu kommen?“, haben wir unser Konzept neu ausgerichtet – weg vom reinen Kulturprojekt, hin zur berufsorientierten, praktischen Bildungsarbeit.
Mathis: Was bedeutet dir persönlich diese Verbindung aus kultureller Teilhabe, Handwerk, Nachhaltigkeit und sozialem Engagement?
Iyabo: Das ist für mich ganz eng mit meinem eigenen Lebensweg verknüpft. Ich komme aus dem Tanz, habe als Performancekünstlerin gearbeitet – aber es war mir immer wichtig, gesellschaftliche Themen sichtbar zu machen. Ich bin mit einer sehr politischen Mutter aufgewachsen, war als Kind auf Demos, habe früh gelernt, dass Kultur nicht nur Unterhaltung ist, sondern Verantwortung.
Diese Haltung prägt unsere Arbeit bis heute: Wir schaffen Räume, in denen Menschen ihre Potenziale entdecken und wachsen können – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Bildung oder Status.
„Muträume“ und Persönlichkeitsentwicklung – was junge Menschen wirklich brauchen

Mathis: Eure Projekte haben einen stark partizipativen Ansatz. Wie fördert Beteiligung die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen?
Iyabo: Indem wir sie ernst nehmen. In unseren Workshops entstehen Dynamiken, die man in klassischen Schulsettings selten erlebt. Wenn Schüler*innen plötzlich anfangen, co-kreativ zu arbeiten, wenn Rollen innerhalb der Klassengemeinschaft aufbrechen – dann passiert echte Entwicklung.
Das beginnt oft ganz unspektakulär: gemeinsam etwas bauen, gestalten, nähen oder diskutieren. Aber es entsteht eine neue Haltung. Wir zeigen: Du darfst scheitern, neu denken, dich umentscheiden. Es ist deine Geschichte – und du darfst sie umschreiben.
Mathis: Was nehmt ihr konkret bei den Jugendlichen wahr, wenn sie sich auf diesen Prozess einlassen?
Iyabo: Da passiert ganz viel. Ein schönes Beispiel war ein Projekt mit der Ricarda-Huch-Schule aus Hannover: Wir haben über Demokratie, Vielfalt und Zugehörigkeit gesprochen, danach gemeinsam kreative Banner gestaltet – und am Ende ein Drei-Gänge-Menü gekocht.
Diese Kombination aus Denken, Machen und gemeinsamem Essen schafft eine Atmosphäre, in der Vertrauen wächst. Viele Schüler*innen haben gesagt: „Warum machen wir so etwas nicht öfter in der Schule?“ Und genau das ist es: Wenn wir Räume schaffen, in denen junge Menschen sich ausprobieren dürfen, zeigen sie sehr schnell, was in ihnen steckt.
Mathis: Viele eurer Angebote verbinden Kreativität, Nachhaltigkeit und Zukunftstechnologien. Welche Kompetenzen lernen Schüler*innen bei euch?
Iyabo: Vor allem Selbstwirksamkeit. Ob in der Textilwerkstatt, beim Lampenbau in der Holzwerkstatt oder im fabricLab mit Lasercut und 3D-Druck – die jungen Menschen merken: Ich kann etwas erschaffen, gestalten, verändern. Das ist unglaublich empowernd.
Wir vermitteln dabei nicht nur technische oder handwerkliche Fähigkeiten, sondern vor allem: Du darfst Fragen stellen. Du darfst neugierig sein. Du darfst gestalten. Das stärkt das Selbstvertrauen und hilft, sich als aktiver Teil dieser Gesellschaft zu begreifen – ein zentraler Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung.
Außerschulische Lernorte und starke Partnerschaften – Zusammenarbeit mit dem DJH

Mathis: Wie ist die Kooperation mit der Jugendherberge Hannover entstanden?
Iyabo: Die Initiative kam tatsächlich von Nora aus dem Team der Jugendherberge Hannover. Sie hatte unsere „Küche für alle“ entdeckt – ein wöchentliches, offenes Angebot, das wir hier auf unserem Gelände organisieren – und wollte uns gerne persönlich kennenlernen.
Sie hat uns dann mit Kolleg*innen besucht, wir haben uns ausgetauscht und schnell festgestellt: Da ist viel gemeinsame Vision. Danach habe ich eine erste Ideenskizze für ein Klassenfahrt-Programm entwickelt, die wir gemeinsam weitergedacht haben.
Das Ergebnis ist ein vielfältiges Workshop-Angebot, das über die Jugendherberge gebucht werden kann – mit kreativen Formaten in den Bereichen Textil, Holz, Nachhaltigkeit und Zukunftstechnologien. Das Programm steht, wir freuen uns auf die erste Schulklasse!
Mathis: Warum ist das DJH für euch ein guter Kooperationspartner?
Iyabo: Weil wir ähnliche Grundhaltungen teilen. Bei Unter einem Dach geht es nicht nur um das reine Vermitteln von Inhalten, sondern darum, junge Menschen zu ermutigen, sich selbst auszuprobieren – ganzheitlich, praxisnah und in einer wertschätzenden Atmosphäre.
Und genau das passiert auch in den Jugendherbergen: Es geht um Gemeinschaft, Vielfalt, um Bildung außerhalb des Klassenzimmers. Dass Schulklassen durch die Jugendherbergen Zugang zu außergewöhnlichen Lernorten wie unserem erhalten, macht die Zusammenarbeit so wertvoll – für uns, für Lehrkräfte und vor allem für die Jugendlichen selbst.
Mathis: Was wünschst du dir, dass junge Menschen aus einem Besuch bei euch mitnehmen?
Iyabo: Ich wünsche mir, dass sie ein Gefühl mitnehmen – ein Gefühl von: Ich kann was. Ich darf was. Ich gehöre hierher. Wenn die vertrauten Rollen im Klassenverband mal fallen, wenn Co-Kreation möglich wird, dann entsteht eine ganz eigene Dynamik.
Wir möchten Räume schaffen, in denen junge Menschen spüren: Hier geht es nicht um Leistung oder Bewertung. Hier darf ich einfach ich sein – und etwas gestalten, das Bedeutung hat. Das sind Momente, die bleiben. Und genau darum geht’s.
Klassenfahrten mit Unter einem Dach: Kreativ, praktisch und persönlichkeitsbildend
Mehr Informationen zur Kooperation mit der Jugendherberge Hannover und zu den buchbaren Klassenfahrtsprogrammen findest du im Angebotsbereich der Jugendherberge Hannover. Dort stehen drei kreative und praxisorientierte Programme zur Auswahl:
- Auf die kreative Tour – Werde zum Macher!
- fabricLab / Technologie & Textil – Smarte Mode & Accessoires entwickeln
- Upcycling, Design & Bag-Kreation – Kreiere deine money Bag aus alten Werbebannern
Jetzt Programm auswählen, buchen – und gemeinsam mit deiner Klasse kreativ die Zukunft gestalten.
Weitere Programme, die die Persönlichkeitsentwicklung von Schüler*innen stärken, findest du auf der Website der Jugendherbergen in Deutschland.
Fotos: Saskia Stöhr
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